Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)
Wenn etwas meinen Jammer versüßen kann, so ist das die Güte meines Königs und die Freude, zu sehen, daß die Vorsehung so viel Hingebung nicht hat vergeblich sein lassen.‹«
»Und was hat Ludwig XVIII. getan?« fragte Gottfried.
»Der König ließ Frau de la Chanterie zweihunderttausend Franken zustellen, denn die Herrschaft Saint- Savin war verkauft worden, um die Prozeßkosten zu decken,« antwortete der Alte. »Die Begnadigungsschreiben für die Frau Baronin und ihre Dienerin sprechen das Bedauern des Königs über die in seinem Dienste ausgestandenen Leiden aus und erwähnen, ›daß der Eifer seiner Diener in der Anwendung der Mittel zu weit gegangen sei‹; aber, schrecklich zu sagen, und was Ihnen als der merkwürdigste Charakterzug dieses Monarchen erscheinen wird: er verwendete Bryond weiter während seiner Regierung in seiner Geheimpolizei.«
»Oh, die Könige, die Könige!« rief Gottfried aus. »Und lebt der Schurke noch?«
»Nein. Der Elende, der seinen Namen wenigstens hinter dem Namen Contenson verbarg, ist Ende 1829 oder Anfang 1850 gestorben. Als er einen Verbrecher verhaften wollte, der auf das Dach eines Hauses geflüchtet war, stürzte er auf die Straße hinab. Ludwig XVIII. teilte die Anschauungen Napoleons über die Polizei. Frau de la Chanterie ist eine Heilige, sie betet für das Seelenheil dieses Ungeheuers und läßt jährlich zwei Messen für ihn lesen. Obgleich von einem der größten Redner und berühmtesten Advokaten der Zeit verteidigt, konnte Frau de la Chanterie, die von der Gefahr, die ihre Tochter lief, erst erfuhr, als das geraubte Geld weggeschafft wurde, und auch erst dadurch, daß ihr Verwandter Boislaurier sie darüber aufklärte, doch niemals ihre Unschuld beweisen. Der Präsident du Ronceret und Blondet, der Vizepräsident des Gerichts von Alençon, versuchten vergeblich, die arme Frau zu retten; der Einfluß des kaiserlichen Gerichtsrats, der dem Sonderstrafgericht präsidierte, des berühmten Mergi, der später Generalstaatsanwalt und ein fanatischer Anhänger von Thron und Altar wurde, auf seine beiden Kollegen war so groß, daß er die Verurteilung der armen Baronin de la Chanterie durchsetzte. Die Herren Bourlac und Mergi bewiesen während des Prozesses eine unglaubliche Hartnäckigkeit. Der Präsident redete die Baronin des Tours mit Frau Bryond und die gnädige Frau mit Frau Lechantre an. Die Namen der Angeklagten wurden nach republikanischem Muster sämtlich verkürzt und beinahe verstümmelt. Der Prozeß zeichnete sich durch ganz ungewöhnliche Umstände aus, von denen ich mich nicht mehr an alle erinnere; nur ein kühner Zug ist mir im Gedächtnis geblieben, der Ihnen beweisen kann, was für Leute die Chouans waren. Die Menschenmassen, die den Prozeßverhandlungen beiwohnen wollten, überfliegen alles, was Sie sich vorstellen können; sie füllten die Korridore an, und auf dem Platze sah es aus wie an einem Markttage. Eines Tages, bei Eröffnung der Sitzung, noch vor Eintreten des Gerichtshofs, sprang Pille-Miche, der berüchtigte Chouan, über die Schranken mitten in die Menge hinein, machte sich mit den Ellbogen Platz, verschwand in der Masse und flüchtete mit dem Strom der erschreckten Menschen, ›sich vorwärts kämpfend wie ein wilder Eber‹, erzählte mir Bordin. Die Gendarmen und die Wache stürmten hinter ihm her, und er wurde erst am Ende der Treppe, gerade als er den freien Platz erreicht hatte, gepackt. Infolge dieses kühnen Wagnisses wurde die Wache verdoppelt. Eine Gendarmerieabteilung wurde auf dem Platze konsigniert; denn man befürchtete, daß sich Chouans finden könnten, die bereit waren, den Angeklagten Schutz und Hilfe zu gewähren. Bei diesen Versuchen wurden drei Menschen im Gedränge totgedrückt. Nachher hat man erfahren, daß Contenson (ebenso wie mein alter Freund Bordin kann ich mich nicht entschließen, ihn den Baron des Tours-Minières oder Bryond, was auch ein alter Adelsname ist, zu nennen), man hat also, sage ich, erfahren, daß dieser Elende sechzigtausend Franken von dem geraubten Gelde beiseite geschafft und verschwendet hat; zehntausend hat er dem jungen Chaussard gegeben und ihn für die Polizei angeworben, wobei er ihn mit seinen Gelüsten und Lastern angesteckt hat; aber keiner seiner Mitschuldigen hat Glück gehabt. Der flüchtige Chaussard wurde von dem Herrn von Boislaurier ins Meer gestürzt, sobald dieser durch ein Wort Panniers den Verrat dieses Schurken erfuhr, dem Contenson geraten hatte, sich mit den
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