Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)
zu verfassen, von Monat zu Monat nach ihrer Hinrichtung datiert, um den Glauben zu erhalten, daß sie noch lebe, und in ihnen die Leiden einer erdichteten Krankheit, die zum Tode führte, zu beschreiben. Diese Briefe umfaßten einen Zeitraum von zwei Jahren. Frau de la Chanterie wurde so auf den Tod ihrer Tochter vorbereitet, aber auf einen natürlichen Tod: von ihrer Hinrichtung erfuhr sie erst im Jahre 1814. Zwei Jahre lang war sie im Kerker zusammen mit den elendesten Geschöpfen ihres Geschlechts in Gefangenenkleidern; nach Ablauf des zweiten Jahres erhielt sie dann auf das dringende Bemühen der Champignelles und der Beauséants ein eigenes Zimmer, in dem sie wie eine Nonne im Kloster lebte.
»Und was geschah mit den anderen?«
»Der Notar Léveillé, d'Herbomey, Hiley, Cibot, Grenier, Horeau, Cabot, Minard und Mallet wurden zum Tode verurteilt und am gleichen Tage hingerichtet. Pannier, zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt, auch Chaussard und Vauthier wurden gebrandmarkt und in den Bagno geschickt; aber der Kaiser begnadigte Chaussard und Vauthier; Melin, Laravinière und Binet wurden zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, Frau Bourget zu zwanzig Jahren Zuchthaus. Chargegrain und Rousseau wurden freigesprochen. Alle Geflüchteten wurden in contumaciam zum Tode verurteilt, außer dem Mädchen Godard, die niemand anderes ist, Sie ahnen es wohl, als unsere arme Manon...«
»Manon?...« rief Gottfried verblüfft.
»Oh, Sie kennen Manon noch nicht!« erwiderte der gute Alain. »Dieses aufopfernde Wesen, das zu zweiundzwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt war, stellte sich freiwillig, um Frau de la Chanterie im Gefängnis als Dienerin beizustehen. Unser verehrter Vikar ist der Priester von Mortagne, der die Baronin des Tours-Minières mit den Sterbesakramenten versah und den Mut hatte, sie auf das Schafott zu geleiten, und der ihren letzten Abschiedskuß empfangen hat. Dieser mutige, hochherzige Priester hat auch dem Chevalier du Vissard beigestanden. Unser teurer Abbé hat also alle Geheimnisse der Verschwörer erfahren...«
»Nun weiß ich, was ihm das Haar gebleicht hat!« sagte Gottfried.
»Ach!« fuhr Alain fort, »er hat von Amédée du Vissard das Miniaturbild der Frau des Tours-Minières empfangen, das einzige Bild, das von ihr existiert; daher war der Abbé für Frau de la Chanterie ein Heiliger, als sie glorreich wieder in die Gesellschaft zurückkehrte.«
»Wie das?...« fragte Gottfried erstaunt.
»Nun, bei der Rückkehr Ludwigs XVIII. im Jahre 1814. Boislaurier, der jüngere Bruder des Herrn Boisfrelon, hatte vom König den Befehl gehabt, den Westen im Jahre 1809 und dann nochmals im Jahre 1812 aufzuwiegeln. Sein Name ist Dubut, der Dubut aus Caen ist sein Verwandter. Es waren drei Brüder: Dubut de Boisfranc, Präsident des Hilfsgerichts; Dubut de Boisfrelon, Parlamentsrat, und Dubut-Boislaurier, Dragonerrittmeister. Der Vater hatte seinen Söhnen die Namen von drei verschiedenen Besitzungen gegeben, um ihre niedere Herkunft zu verbergen, denn der Großvater der Dubuts war Leinwandhändler. Der Dubut aus Caen, der sich zu retten vermochte, gehörte zu den Dubuts, die Kaufleute geblieben waren, und er hoffte, durch seine Hingabe für die Sache des Königs es zu erreichen, daß er den Titel des Herrn de Boisfranc übertragen bekam. Ludwig XVIII. hat auch den Wunsch dieses treuen Dieners erfüllt, der im Jahre 1815 Generalprofoß und später Generalstaatsanwalt, unter dem Namen de Boisfranc, wurde; er ist als erster Präsident eines Obergerichts gestorben. Der Marquis du Vissard, der ältere Bruder des armen Chevalier, zum Pair von Frankreich ernannt und vom König mit Ehren überhäuft, wurde Leutnant der Maison rouge und nach Auflösung der Maison rouge Präfekt. Der Bruder des Herrn d'Herbomez wurde Graf und Generalsteuereinnehmer. Der arme Bankier Pannier ist kinderlos als Generalleutnant und Gouverneur eines königlichen Schlosses gestorben. Die Herren von Champignelles und von Beauséant, der Herzog von Verneuil und der Großsiegelbewahrer haben Frau de la Chanterie dem König vorgestellt. ›Sie haben um meinetwillen viel gelitten, Frau Baronin; Sie haben Anspruch auf meine Gunst und meine volle Dankbarkeit‹, sagte er zu ihr. ›Sire‹, erwiderte sie, ›Euer Majestät haben so viele Unglückliche zu trösten, ich will Sie nicht noch mit einem untröstlichen Schmerz belasten. In Zurückgezogenheit leben, meine Tochter beweinen und Gutes tun, das soll den Rest meiner Tage ausfüllen.
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