Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)
werden, wie vertraut mit einem derartigen Vorgehen ein Mann war, der seit dem Jahre 1794 eine doppelte Rolle spielt und der es acht Jahre hindurch verstanden hat, den Grafen von Lille und seine Anhänger und vielleicht auch die oberste Polizeibehörde des Reichs zu täuschen: dienen solche Menschen nicht demjenigen, der sie am besten bezahlt?
Bryond trieb Rifoël zu dem Verbrechen, er drängte darauf, mit bewaffneter Hand die Staatskassen zu rauben und von den Käufern von Nationalgütern eine hohe Kontribution unter Anwendung scheußlicher Martern zu erheben, die fünf Departements in Schrecken setzen sollten, und die er ausgedacht hatte. Er verlangte, daß ihm dreihunderttausend Franken ausgehändigt würden, um damit die auf seinen Gütern lastenden Schulden abzulösen.
Falls seine Frau oder Rifoël ihm Widerstand leisten würden, hatte er sich vorgenommen, sich für die tiefe Verachtung, die er dieser geradsinnigen Seele eingeflößt hatte, zu rächen, indem er beide der Strenge des Gesetzes ausliefern wollte, sobald sie ein Kapitalverbrechen begangen haben würden.
Als er sah, daß die Anhänglichkeit an die Partei bei diesen beiden Wesen, die er aneinander gebunden hatte, stärker war als die Berücksichtigung seiner Interessen, verschwand er und kehrte nach Paris zurück, versehen mit eingehenden Auskünften über die Situation in den weltlichen Departements.
Die Brüder Chaussard und Vauthier waren Bryonds Korrespondenten, das ist der Kanzlei bekannt.
Heimlich und verkleidet erschien er, sobald das Attentat auf die Kassen von Caen ausgeführt war, wieder im Lande unter dem Namen Le Marchand und setzte sich im geheimen mit dem Herrn Präfekten und den Behörden in Verbindung. Was geschah nun? Niemals ist eine so weit verbreitete Verschwörung, an der so viele Personen der verschiedensten Stufen der gesellschaftlichen Stellung teilnahmen, der Justiz so schnell bekannt geworden wie dieses unerwartete Attentat auf die Kassen von Caen. Alle Schuldigen wurden verfolgt und sechs Tage nach dem Attentat aufgespürt, und zwar mit einer Sicherheit, die die vollkommenste Kenntnis der Pläne und der Individuen beweist. Die Verhaftungen, der Prozeß, der
Tod Rifoëls und seiner Mitschuldigen sind der Beweis dafür, den wir nur erwähnen, um zu zeigen, daß wir dessen sicher sind. Der Kanzlei, wir wiederholen es, ist über diesen Punkt mehr bekannt als uns. Wenn jemals ein Verurteilter sich an die Gnade des Souveräns wenden dürste, so ist es Henriette Lechantre.
Mitgerissen von ihrer leidenschaftlichen Liebe, von den Ideen der Rebellion, die sie mit der Muttermilch eingesogen hatte, ist sie in den Augen der Justiz sicherlich nicht zu entschuldigen; werden aber von dem großherzigsten der Kaiser der niedrigste Verrat und der heißeste Enthusiasmus nicht zu ihren Gunsten sprechen?
Der größte Feldherr, der unsterbliche Genius, der den Fürsten Hatzfeld begnadigte und, gleich Gott selbst, die verhängnisvollen Triebe des Herzens versteht, wird er nicht zugeben, daß dieser Trieb unüberwindlich ist und ein Verbrechen, so groß es auch sei, zu entschuldigen vermag?
Zweiundzwanzig Köpfe sind bereits durch das Schwert der Gerechtigkeit gefallen, nachdem die drei Strafgerichtshöfe das Urteil gesprochen haben; es ist nur noch der einer jungen Frau von zwanzig Jahren, einer Minderjährigen übrig: wird Kaiser Napoleon der Große sie nicht schonen, damit sie bereuen kann? Wird er die Vergeltung nicht Gott überlassen?
Für Henriette Lechantre, die Gattin Bryonds des Tours-Minières,
ihr Verteidiger Bordin, Advokat am Gerichtshof erster Instanz des Seine-Departements.
Diese furchtbare Tragödie beunruhigte den kurzen Schlaf, den Gottfried fand. Er träumte von der Hinrichtung, wie sie der Arzt Guillotin in philanthropischem Interesse erfunden hat. Mitten in seinem schweren Albdrücken sah er die junge Frau nach den letzten Vorbereitungen auf dem Karren fortgeschleppt, wie sie das Schafott bestieg mit dem Rufe: Es lebe der König!
Die Neugierde peinigte Gottfried. Bei Tagesanbruch erhob er sich, kleidete sich an, ging im Zimmer auf und ab und stellte sich schließlich ans Fenster, indem er mechanisch den Himmel betrachtete und sich, wie es ein moderner Autor machen würde, die Tragödie als einen Roman in mehreren Bänden vor Augen stellte. Beständig sah er von dem dunklen Hintergrunde von Chouans, Landleuten, Provinzedelleuten, Anführern,Gerichtspersonen, Advokaten, Spionen sich strahlend die Figuren der Mutter und
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