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Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Titel: Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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halten... Wir müssen voneinander scheiden... Ich selbst, ich bin vom Kloster entsandt worden, um Aufenthalt im Krater eines Vulkans zu nehmen. Ich soll Werkmeister in einer großen Fabrik werden, deren sämtliche Arbeiter von den Lehren der Kommunisten angesteckt sind und eine soziale Umwälzung planen, die Vernichtung ihrer Leiter, ohne zu bedenken, daß das der Tod der Industrie, des Handels, der Fabriken bedeutet... Ich werde dort, wer weiß, vielleicht ein Jahr bleiben, die Kasse und die Bücher führen, die hundert bis hundertzwanzig Haushaltungen armer Leute kennenlernen, die gewiß schon durch das Elend zu Verirrungen gebracht worden sind, bevor sie es durch schlechte Bücher wurden. Trotzdem werden wir uns hier an allen Sonn- und Feiertagen sehen ... Da wir in demselben Bezirk weiter wohnen bleiben, bezeichne ich Ihnen als Ort, wo wir uns treffen können, die Kirche Saint-Jacques du Haut-Pas; dort werde ich täglich um siebeneinhalb Uhr die Messe hören. Wenn Sie mir anderswo begegnen, dürfen Sie mich nicht kennen, es sei denn, daß ich mir mit zufriedener Miene die Hände reibe. Das ist eins unserer Zeichen. Wir haben wie die Taubstummen eine Zeichensprache, deren Notwendigkeit Ihnen bald ausgiebig klar werden wird.«
    Gottfried machte eine Bewegung, die der gute Alain verstand, denn er lächelte und fuhr sogleich fort: »Also, Ihr Geschäft ist dieses: Die Art von Wohltätigkeit und Philanthropie, die Ihnen bekannt ist, und die in mehrere Zweige zerfällt und von Schwindlern auf dem Gebiete der Wohltätigkeitsbestrebungen wie des Handels ausgebeutet wird, die üben wir nicht aus; wir stellen uns in den Dienst der Barmherzigkeit so wie sie unser großer erhabener, heiliger Paulus verstanden wissen will; denn wir meinen, mein liebes Kind, daß die Mildtätigkeit allein die klaffenden Wunden der Stadt Paris verbinden kann. Deshalb haben in unseren Augen das Unglück, das Elend, das Leid, der Kummer, das Böse, was auch ihre Ursache sein mag, in welcher Gesellschaftsklasse sie auch zutage treten mögen, dasselbe Recht. Welchen Glauben, welche Ansichten er auch hat, ein Unglücklicher ist vor allem ein Unglücklicher; und wir dürfen ihn erst an unsere heilige Mutter, die Kirche verweisen, nachdem wir ihn vor der Verzweiflung und dem Hunger bewahrt haben. Und auch dann sollen wir ihn mehr durch unser Beispiel und unsere Sanftmut bekehren als anderswie; denn wir glauben, daß Gott uns hierbei helfen wird. Jeder Zwang ist also von Übel. Von allem Pariser Elend ist das am schwersten zu entdeckende und das böseste das der anständigen Leute, das der oberen Klassen des Bürgertums, deren Familien in Not geraten sind; denn sie setzen ihre Ehre darein, das geheimzuhalten. Diese Unglücksfälle, mein lieber Gottfried, sind der Gegenstand unserer besonderen Sorgsamkeit. Und diese Personen zeigen, wenn wir ihnen geholfen haben, Verständnis und Herz: sie erstatten uns die geliehenen Summen mit Zinsen zurück, so daß nach einer gewissen Zeit diese Wiedererstattungen unsere Verluste decken, die wir an Schwachsinnigen, an Betrügern oder an solchen, die das Unglück verblödet hat, erleiden. Wir erhalten wohl manchmal Auskünfte von unsern eigenen Schuldnern; aber unser Werk ist so sehr ins Ungeheure gewachsen, die besonderen Umstände sind so mannigfaltige geworden, daß wir ihnen nicht mehr genügen können. So haben wir auch seit sieben oder acht Monaten in jedem Pariser Bezirk einen eigenen Arzt. Jedem von uns sind vier Bezirke zugeteilt. Wir bezahlen jedem Arzte jährlich dreitausend Franken für die Behandlung unserer Armen. Dafür muß er uns in erster Linie seine Zeit und seine Tätigkeit zur Verfügung stellen; wir verbieten ihm aber nicht, auch andere Kranke zu behandeln. Wissen Sie, daß wir im Verlaufe von acht Monaten nicht zwölf solche wertvollen Männer, zwölf ehrenwerte Leute zu finden vermochten, trotz der Hilfe unserer Freunde und unserer persönlichen Beziehungen? Brauchten wir doch Männer von unbedingter Verschwiegenheit, reinem Lebenswandel, erprobten Kenntnissen, arbeitsfreudig und von dem Wunsche beseelt, Gutes zu tun! Obwohl es nun in Paris zehntausend Personen gibt, die mehr oder weniger für unsern Dienst geeignet sind, haben wir erst nach einem Jahre zwölf Auserwählte zusammengebracht.
    »Unser Herr hat Mühe gehabt, seine Apostel um sich zu sammeln, und auch unter ihnen fanden sich noch ein Verräter und ein Ungläubiger!« sagte Gottfried. »Jetzt endlich, seit vierzehn Tagen, haben

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