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Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Titel: Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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in mir eine der festesten Stützen der älteren Linie der Bourbonen, ebenso wie ich es vorher für die kaiserliche Regierung gewesen war, und jetzt befinde ich mich in solchem Elend! Da ich zu stolz war, zu bitten, hat man sich niemals darum gekümmert, in welches unerhörte Unglück ich geraten bin. Vor fünf Tagen, mein Herr, hat mir der Bezirksarzt, der meine Tochter behandelt, oder, wenn Sie wollen, beobachtet, gesagt, daß er außerstande sei, eine Krankheit zu heilen, die alle vierzehn Tage unter einer anderen Form auftrete. Den Neurosen steht, wie er meint, die Medizin ratlos gegenüber, weil sie auf unerklärbaren Ursachen beruhen. Er hat mir geraten, ich solle mich an einen Arzt wenden, der allerdings nur für einen Empiriker gilt, und er hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß es ein Ausländer sei, ein flüchtiger, polnischer Jude, daß die Ärzte sehr eifersüchtig auf ihn sind wegen einiger außerordentlicher Heilungen, von denen viel gesprochen wird, daß aber gewisse Persönlichkeiten ihn für sehr gelehrt und sehr geschickt halten. Nur ist er teuer und mißtrauisch; er sucht sich seine Kranken aus und opfert seine Zeit nicht umsonst; schließlich ist er... Kommunist... er heißt Halpersohn. Mein Enkelsohn ist schon zweimal vergeblich bei ihm gewesen, denn er ist noch nicht zu uns gekommen, und ich kann mir denken, weshalb nicht!...«
    »Und weshalb nicht?« sagte Gottfried.
    »Oh, mein sechzehnjähriger Enkelsohn ist noch viel schlechter gekleidet als ich; und ich – würden Sie es glauben, mein Herr? – ich wage nicht, vor diesen Arzt hinzutreten; mein Äußeres steht in einem zu peinlichen Mißverhältnis mit dem Auftreten, das man von einem alten würdigen Herrn, wie ich einer bin, erwartet. Wenn er den Großvater in diesem Aufzuge sieht, nachdem der Enkel ebenso schlecht gekleidet vor ihm erschienen ist, wird dieser Arzt meiner Tochter dann die erforderliche Sorgfalt angedeihen lassen? Er wird sie so behandeln, wie man arme Leute behandelt... Und bedenken Sie, verehrter Herr, daß ich meine Tochter liebe um der Schmerzen willen, die sie mir bereitet hat, ebenso wie ich sie ehedem liebte um der Glückseligkeit willen, womit sie mich überhäufte.
    Sie ist ein wahrer Engel geworden. Ach, sie ist nur noch Seele; der Körper existiert nicht mehr, denn sie hat die Schmerzen besiegt... Stellen Sie sich vor, welcher Anblick das für einen Vater ist! Für meine Tochter ist ihr Zimmer ihre Welt! Sie muß hier Blumen haben, die sie liebt; sie liest viel, und wenn sie die Hände gebrauchen kann, macht sie feenhafte Handarbeiten... Sie weiß nichts von der tiefen Armut, in die wir alle geraten sind... Darum führen wir ein so merkwürdiges Leben, daß wir niemanden zu uns hineinlassen können... Verstehen Sie mich jetzt richtig, mein Herr? Begreifen Sie, daß ich keinen Nachbar dulden kann? Ich würde zu viel von ihm verlangen müssen und würde zu viele Verpflichtungen auf mich laden, als daß ich sie wettmachen könnte. Denn erstens fehlt mir für alles das die Zeit; ich muß meinen Enkel erziehen, und ich arbeite so viel, mein Herr, daß ich nachts nicht mehr als drei bis vier Stunden schlafe.«
    »Mein Herr,« unterbrach Gottfried den Alten, dem er bis dahin geduldig und mit teilnahmsvoller Aufmerksamkeit zugehört hatte, »ich werde doch Ihr Nachbar werden, und ich werde Ihnen hilfreich beistehen...«
    Der Alte machte eine stolze, unwillige Bewegung, denn er hatte keinen Glauben mehr an etwas Gutes vonseiten der Menschen.
    »Ich werde Ihnen beistehen«, wiederholte Gottfried, ergriff die Hände des Alten und drückte sie mit achtungsvoller Freundlichkeit; »aber wie soll ich Ihnen beistehen?... Hören Sie mich an. Was gedenken Sie aus Ihrem Enkel zu machen?«
    »Er wird bald Jura studieren, denn er soll Richter werden.«
    »Ihr Enkel wird Sie jährlich sechshundert Franken kosten, also...«
    Der Alte verhielt sich schweigend.
    Nach einer Pause fuhr Gottfried fort: »Ich selbst besitze nichts, aber ich vermag viel; ich werde Ihnen den jüdischen Arzt zuführen! Und wenn Ihre Tochter geheilt werden kann, so wird sie geheilt werden. Wir werden das Geld auftreiben, um Halpersohn zu bezahlen.«
    »Oh, wenn meine Tochter geheilt würde, dann könnte ich ein Opfer bringen, wozu ich nur ein einziges Mal imstande wäre!« rief der Alte aus. » Dann würde ich meine letzten Notgroschen hergeben!«
    »Den werden Sie behalten!...«
    »Ach, die Jugend, die Jugend!...« rief der Alte kopfschüttelnd... »Leben Sie

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