Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)
Bernard beunruhigte, und daß der Anblick des Holzes und der graue Himmel ihn an die Notwendigkeit mahnten, sich auch mit Vorräten zu versehen. Aber plötzlich ergriff der junge Mensch, wie wenn er sich Vorwürfe machte, daß er seine kostbare Zeit verliere, die beiden Krüge und ging eiligst ins Haus hinein. Es war in der Tat schon einhalb acht Uhr, und als er die Uhr des Klosters de la Visitation schlagen hörte, dachte er daran, daß er um einhalb neun Uhr im Gymnasium Louis le Grand sein müsse.
Gerade als er hineinkam, öffnete Gottfried der Frau Vauthier die Tür, die kam, um bei ihrem neuen Mieter einzuheizen, so daß Gottfried Zeuge der Szene wurde, die sich auf dem Treppenabsatz abspielte. Ein Gärtner aus der Nachbarschaft hatte mehrmals an der Tür des Herrn Bernard geklingelt, ohne daß jemand herauskam, denn die Glocke war mit Papier umwickelt, und hatte nun einen ziemlich groben Zank mit dem jungen Menschen angefangen, von dem er die für das Abonnement der von ihm gelieferten Blumen noch rückständige Bezahlung verlangte. Als der Gläubiger immer lauter wurde, ging die Tür auf, und Herr Bernard erschien.
»August,« sagte er zu seinem Enkel, »kleide dich um, du mußt ins Gymnasium gehen.«
Dann nahm er die beiden Krüge und stellte sie in das erste Zimmer seiner Wohnung, wo sich Blumen in Jardinieren befanden; darauf schloß er die Tür wieder und kehrte zu dem Gärtner zurück. Gottfrieds Tür stand offen, denn Nepomuk hatte mit dem Heraufbringen des Holzes begonnen, das er im vorderen Zimmer aufschichtete. In Gegenwart des Herrn Bernard war der Gärtner still geworden; jener trug einen Hausrock von violetter Seide, der bis ans Kinn zugeknöpft war, und hatte ein achtunggebietendes Auftreten.
»Sie könnten das, was wir Ihnen schulden, auch ohne zu schreien verlangen«, sagte Herr Bernard.
»Seien Sie doch gerecht, mein lieber Herr«, sagte der Gärtner; »Sie wollten mich doch alle Woche bezahlen, und jetzt sind es drei Monate, zehn Wochen, und ich habe nichts bekommen; dabei sind Sie mir hundertundzwanzig Franken schuldig. Wir sind gewöhnt, daß reiche Leute bei uns ein Abonnement auf Blumen nehmen, das sie uns bezahlen, sobald wir es verlangen, und jetzt bin ich schon zum fünftenmal deswegen hier. Wir müssen doch unsere Miete und unsere Arbeiter bezahlen, und ich bin gewiß nicht reicher als Sie. Meine Frau, die Ihnen Milch und Eier liefert, wird heute nicht mehr damit kommen; ihr sind Sie dreißig Franken schuldig: sie will lieber gar nicht kommen, als Sie drängen, sie ist eine gute Seele, meine Frau! Wenn es nach ihr ginge, dann könnte man überhaupt keine Geschäfte machen. Aber ich, ich höre auf diesem Ohr nicht, verstehen Sie ...«
In diesem Augenblick ging August fort mit einem elenden kurzen grünen Rock, einer Hose aus Tuch von gleicher Farbe, einer schwarzen Krawatte und abgetragenen Schuhen bekleidet. Seine Sachen, obwohl sauber abgebürstet, verrieten den äußersten Grad von Bedürftigkeit, denn sie waren so kurz und so eng, daß sie bei der geringsten Bewegung des Schülers aufzuplatzen drohten. Die weiß gewordenen Nähte, die eingeschrumpften Ränder, die trotz der Ausbesserungen ausgerissenen Knopflöcher zeigten auch dem ungeübtesten Auge die jammervollen Merkmale der Not. Diese Kleidung stand in schreiendem Gegensatz zu der frischen Jugend Augusts, der dahinging, ein Stück altes Brot kauend, das die Eindrücke seiner schönen starken Zähne aufwies. Er frühstückte so während seines Weges vom Boulevard Mont-Parnasse bis zur Rue Saint-Jacques, während er seine Bücher und Hefte unter dem Arm und auf dem Kopfe eine Mütze trug, die ihm zu klein war, und unter der sein prächtiges dunkles Haar hervorquoll.
Als er bei seinem Großvater vorbeiging, wechselte er mit ihm einen Blick voll tiefster Betrübnis, denn er sah ihn im Kampfe mit einer fast unüberwindlichen Schwierigkeit, deren Folgen schrecklich sein mußten. Um dem Primaner Platz zu machen, zog sich der Gärtner bis an die Tür Gottfrieds zurück; in diesem Moment verbarrikadierte Nepomuk mit seiner Tracht Holz den Treppenabsatz so, daß der Gläubiger bis ans Fenster zurücktreten mußte.
»Herr Bernard,« schrie jetzt die Witwe Vauthier, »denken Sie etwa, daß Herr Gottfried seine Wohnung dazu gemietet hat, daß Sie hier Ihre Sitzungen abhalten?«
»Verzeihen Sie,« sagte der Gärtner, »der Flur war so voll...«
»Ich habe das ja auch nicht zu Ihnen gesagt, Herr Cartier«, entgegnete die
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