Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)
wohl, mein Herr, oder vielmehr: Auf Wiedersehn. Ich muß jetzt in die Bibliothek; da ich alle meine Bücher verkauft habe, bin ich gezwungen, meiner Arbeiten wegen täglich dorthin zu gehen... Ich bin Ihnen dankbar für Ihre guten Absichten; wir wollen sehen, ob Sie die Rücksichten auf mich nehmen werden, die ich von einem Nachbar verlangen kann. Das ist alles, was ich von Ihnen erwarte...«
»Jawohl, mein Herr, lassen Sie mich Ihren Nachbarn werden; denn, sehen Sie, Barbet ist nicht der Mann, um sich lange hinhalten zu lassen, und Sie könnten auf einen schlechteren Genossen in Ihrem Elend treffen als auf mich. Ich verlange jetzt nicht, daß Sie mir vertrauen, sondern daß Sie mir gestatten sollen, Ihnen nützlich zu sein...«
»Und was für ein Interesse haben Sie daran?« rief der Alte, während er sich anschickte, die Stufen des Kartäuserklosters hinabzusteigen, von wo man damals aus der großen Allee des Luxembourggartens in die Rue d'Enfer gelangte.
»Haben Sie denn während Ihrer Amtstätigkeit sich niemanden zu Danke verpflichtet?«
Der Alte betrachtete Gottfried mit gerunzelten Augenbrauen, in seiner Erinnerung nachforschend, wie ein Mann, der das Buch seines Lebens nachschlägt und nach einer Handlung sucht, der er eine so seltene Erkenntlichkeit zu verdanken hätte, und wandte sich dann ab mit einem Gruße, in dem seine Zweifel sich ausdrückten.
»Nun, für ein erstes Zusammentreffen hat er sich nicht allzu scheu gezeigt«, sagte sich der Ausgesandte. Gottfried begab sich nun sogleich in die Rue d'Enfer, in das Haus, das ihm Alain bezeichnet hatte, und fand dort den Doktor Berton, einen kühlen, ernsten Mann, der ihn sehr in Erstaunen setzte, als er ihm die Richtigkeit aller Einzelheiten bestätigte, die Herr Bernard ihm über die Krankheit seiner Tochter mitgeteilt hatte; er erhielt auch die Adresse Halpersohns.
Dieser polnische, seitdem berühmt gewordene Arzt wohnte damals in Chaillot, in der Rue Marbeuf, in einem kleinen, einzeln stehenden Hause, wo er das erste Stockwerk in Besitz hatte. Der General Roman Zarnowicki bewohnte das Erdgeschoß, und die Dienerschaft der beiden Flüchtlinge das Dachgeschoß des kleinen Hauses, das nur eine Etage hoch war. Gottfried traf den Doktor nicht zu Hause; er hörte, daß er ziemlich weit weg in die Provinz zu einem reichen Kranken gefahren war; er war beinahe froh, ihn nicht getroffen zu haben, denn in seiner Eile hatte er vergessen, sich mit Geld zu versehen und war genötigt, in das Haus de la Chanterie zurückzukehren, um sich welches mit nach Hause zu nehmen. Durch diese Wege und die Zeit, die er mit seiner Mahlzeit in einem Restaurant in der Rue de l'Odéon verbrachte, war für Gottfried die Stunde herangerückt, wo er von seiner Wohnung am Boulevard Mont-Parnasse Besitz ergreifen mußte. Nichts konnte elender sein, als das Mobiliar, mit dem Frau Vauthier die beiden Zimmer ausgestattet hatte. Diese Frau schien gewöhnt zu sein, Zimmer zu vermieten, die nicht bewohnt wurden. Das Bett, die Stühle, die Tische, die Kommode, der Sekretär, die Vorhänge rührten sicherlich von Zwangsversteigerungen her, oder ein Wucherer hatte sie als Pfand genommen, ohne sie dann verwerten zu können, ein Fall, der häufig vorkommt.
Frau Vauthier, die Fäuste in die Seiten gestemmt, schien einen Dank zu erwarten; sie nahm daher Gottfrieds Lächeln für ein Lächeln der Überraschung.
»Oh, ich habe Ihnen von allem, was wir haben, das Schönste ausgesucht, mein lieber Herr Gottfried«, sagte sie mit triumphierender Miene... »Solche schönen seidenen Vorhänge und ein Mahagonibett, wo die Würmer noch nicht dran waren!... Das hat dem Fürsten von Weißenburg gehört und stammt aus seinem Hause. Als er aus der Rue Louis le Grand wegzog, im Jahre 1809, war ich Küchenmädchen bei ihm... Seitdem bin ich bei meinem Hauseigentümer im Dienst.
Gottfried hemmte den Fluß ihrer vertraulichen Herzensergießungen, indem er seine Miete auf einen Monat vorausbezahlte, und gab ihr auch die sechs Franken im voraus, die er Frau Vauthier für die Aufwartung zu zahlen hatte. In diesem Augenblick vernahm er ein Hundegebell, und wäre er nicht von Herrn Bernard verständigt worden, so hätte er glauben können, daß sein Nachbar einen Hund in der Wohnung halte.
»Bellt der Hund auch nachts?«
»Oh, seien Sie ganz beruhigt, mein Herr, nur etwas Geduld, Sie werden darunter nur noch diese Woche zu leiden haben. Herr Bernard wird seine Miete nicht bezahlen können und hinausgesetzt
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