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Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Titel: Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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gegenseitig.
    »Die Heirat verändert, wie Sie wissen werden, bisweilen die jungen Leute«, begann der Alte wieder. »Die erste Schwangerschaft verlief glücklich, es wurde ein Sohn geboren, mein Enkel, der jetzt bei mir wohnt, der einzige Nachkomme zweier verbundener Familien. Die zweite Schwangerschaft war von so merkwürdigen Symptomen begleitet, daß die Ärzte, die sich alle darüber wunderten, sie den seltsamen Erscheinungsformen, die dieser Zustand manchmal mit sich bringt und die sie in den Annalen der Wissenschaft sammeln, zuschrieben. Meine Tochter brachte ein totes Kind zur Welt, das buchstäblich verrenkt und erstickt war durch innerliche Bewegungen. Jetzt begann erst die Krankheit, die Schwangerschaft hatte nichts mit ihr zu tun gehabt ... Sie sind vielleicht Student der Medizin?« Gottfried machte eine Bewegung, die man ebenso gut für eine Bejahung wie für eine Verneinung halten konnte.
    »Nach dieser schrecklichen, qualvollen Entbindung,« fuhr Herr Bernard fort, »einer Entbindung, die einen so furchtbaren Eindruck auf meinen Schwiegersohn machte, daß er in einen Zustand von Melancholie verfiel, die seinen Tod herbeiführte, klagte zwei bis drei Monate danach meine Tochter über eine allgemeine Schwäche in den Füßen, die ihr, wie sie sich ausdrückte, wie aus Watte vorkamen. Diese Schlaffheit ging in eine Lähmung über, und in was für eine Lähmung, mein Herr! Man kann meiner Tochter die Füße biegen, man kann sie verrenken, ohne daß sie etwas spürt. Das Glied hat anscheinend weder Blut, noch Muskeln, noch Knochen. Dieses Leiden, das mit keiner bekannten Tatsache in Zusammenhang steht, hat auch die Arme und die Hände ergriffen, so daß wir an irgendeinen Fall von Rückenmarkserkrankung geglaubt haben. Alle Ärzte und Heilmittel haben ihren Zustand nur verschlimmert, meine arme Tochter konnte sich nicht mehr bewegen, ohne sich die Hüften, die Schultern oder die Arme zu verrenken. Lange Zeit haben wir einen ausgezeichneten Chirurgen gehabt, der beinahe ständig bei uns weilte und der, im Einverständnis mit dem Arzte oder den Ärzten (denn es sind noch manche aus Wißbegierde zu uns gekommen) damit beschäftigt war, ihr die Glieder wieder einzurenken, und zwar – würden Sie das glauben, mein Herr? – drei- bis viermal am Tage! ... Ach, diese Krankheit hat so viele Symptome, daß ich vergaß, zu erwähnen, daß während der Periode der Schwäche vor der Lähmung der Glieder die merkwürdigsten Erscheinungen der Starrsucht bei meiner Tochter auftraten ... Sie wissen, was Starrsucht ist? Sie blieb mit offenen unbeweglichen Augen mehrere Tage in der Lage, in der sie dieser Zustand überfallen hatte. Sie hat die ungeheuerlichsten Arten von Anfällen dieses Leidens erduldet, bis zu Starrkrämpfen. Diese Phase ihrer Krankheit hat mich auf den Gedanken gebracht, ihre Heilung mit dem Magnetismus zu versuchen, da sie so eigenartig gelähmt war. Meine Tochter war von einer fabelhaften Hellsichtigkeit: ihr Geist war der Schauplatz aller Wunder des Somnambulismus wie ihr Körper der aller Krankheiten ...«
    Gottfried fragte sich, ob der Alte auch ganz bei Vernunft wäre.
    »Ich, der ich in Wahrheit mit Voltaire, Diderot und Helvetius großgezogen wurde und ein Kind des achtzehnten Jahrhunderts bin,« fuhr er fort, ohne auf den Ausdruck in Gottfrieds Gesicht zu achten, »ich, ein Sohn der Revolution, ich hatte mich immer über alles lustig gemacht, was das Altertum und das Mittelalter von Besessenen erzählten; nun, mein Herr, nur Besessenheit kann den Zustand erklären, in dem sich mein Kind befindet. Obwohl somnambul, hat sie uns doch nie die Ursache ihrer Leiden angeben können; sie erkannte sie nicht, und alle Behandlungsmethoden, die sie uns angab, haben ihr, trotzdem sie aufs peinlichste durchgeführt wurden, absolut nichts genützt. So wollte sie zum Beispiel in ein frisch geschlachtetes Schwein hineingesteckt werden; dann gab sie an, man solle ihr mit stark magnetisiertem, glühend gemachtem Eisen in die Beine stechen ... man solle ihr heißes Siegelwachs über den Rücken hinabfließen lassen ...
    Und was für Verwüstungen hat die Krankheit angerichtet! Die Zähne sind ihr ausgefallen! Sie wurde taub und dann stumm; und nach sechs Monaten vollkommener Stummheit und Taubheit kehrten Gehör und Sprache bei ihr plötzlich wieder zurück. Ebenso unerwartet, wie er verlorengeht, ist der Gebrauch der Hände auch wieder da; nur die Füße sind seit sieben Jahren unbeweglich geblieben. Sie hat

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