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Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Titel: Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sagt, aller Länder, in die ihn sein Weg mit seinem Vater, einem Hausierer, geführt hatte.
    Man darf nicht glauben, daß die Szene aus »Richard in Palästina«, wo Saladin den König von England heilt, eine Erdichtung sei. Halpersohn besitzt eine seidene Börse, die er in Wasser taucht, das sich danach schwach färbt und gewisse Fieber verschwinden macht, wenn der Kranke dieses Wasser trinkt. Die Heilkraft der Pflanzen ist nach seiner Meinung unbegrenzt und macht die Heilung der furchtbarsten Krankheiten möglich. Gleichwohl steht auch er wie seine Kollegen manchmal vor unbegreiflichen Krankheitsbildern. Halpersohn schätzt die Homöopathie, mehr um ihrer Therapeutik willen als wegen ihrer medizinischen Lehre; er korrespondierte mit Hedenius in Dresden, mit Chelius in Heidelberg und mit andern berühmten deutschen Ärzten, wobei er aber immer seine zahlreichen Entdeckungen für sich behielt. Er wollte keine Schule bilden. Der Rahmen paßte übrigens gut zu diesem aus einem Gemälde Rembrandts herausgetretenen Porträt. Das Sprechzimmer mit seiner Tapete, einer Imitation von grünem Samt, war elend mit einem grünen Sofa möbliert. Der verschossene grüne Teppich war abgetreten. Ein großer schwarzledener Lehnstuhl für die Patienten stand am Fenster, das mit grünen Vorhängen versehen war. Ein Schreibtischsessel von römischer Form, aus Mahagoniholz und mit grünem Maroquinleder bezogen, diente dem Doktor als Sitz.
    Zwischen dem Kamin und dem langen Tisch, an dem er schrieb, befand sich dem Kamin gegenüber eine gewöhnliche eiserne Kassette, auf der eine Uhr aus Wiener Granit mit einer Bronzegruppe, Amor mit dem Tode spielend, stand, das Geschenk eines großen deutschen Bildhauers, den Halpersohn gewiß geheilt hatte. Der Kaminaufsatz trug als einzigen Schmuck eine Schale zwischen zwei Leuchtern. Zu beiden Seiten des Diwans dienten zwei Eckschränke aus Ebenholz zum Abstellen von Tabletts, auf denen Gottfried silberne Schalen, Karaffen und Servietten wahrnahm.
    Diese fast an Nacktheit streifende Einfachheit fiel Gottfried sehr auf, der alles das mit einem Blicke umfaßte und seine Kaltblütigkeit wiedergewann.
    »Ich bin ganz gesund, mein Herr; ich komme auch nicht meinetwegen, sondern um einer Dame willen, die Sie schon längst hätten besuchen sollen. Es handelt sich um eine Dame, die am Boulevard Mont-Parnasse wohnt...«
    »Ach ja, die Dame hat schon mehrmals ihren Sohn zu mir geschickt. Also, mein Herr, dann mag sie doch in meine Sprechstunde kommen.«
    »Hierherkommen?« sagte Gottfried unwillig; »aber, mein Herr, sie kann ja nicht einmal aus ihrem Bett auf einen Sessel gebracht werden; man muß sie mit Schnüren in die Höhe heben.«
    »Sind Sie Arzt, mein Herr?« fragte der jüdische Doktor und verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, die es noch boshafter machte.
    »Wenn der Baron von Nucingen Ihnen sagen ließe, er sei krank und wolle Sie sehen, würden Sie ihm da auch antworten, er solle herkommen?«
    »Nein, da würde ich zu ihm gehen«, erwiderte der Jude kühl und spuckte in den holländischen Spucknapf aus Mahagoniholz, der mit Sand gefüllt war.
    »«Sie würden zu ihm gehen,« fuhr Gottfried leise fort, »weil der Baron von Nucingen zwei Millionen Einkommen hat, und ...«
    »Das übrige hat nichts damit zu tun, ich würde jedenfalls hingehen.«
    »Nun, mein Herr, aus demselben Grunde werden Sie auch die Kranke am Montparnasse aufsuchen. Ohne das Vermögen des Barons von Nucingen zu besitzen, bin ich hier, um Ihnen zu sagen, daß Sie selbst den Preis für die Heilung, oder, wenn sie mißlingt, für Ihre Mühewaltung festsetzen sollen... Ich erkläre mich bereit, vorher zu zahlen; aber, mein Herr, würden Sie, ein polnischer Emigrant, ein Kommunist, wie ich glaube, nicht für Polen ein Opfer bringen? Die Dame ist die Enkelin des Obersten Tarlowski, des Freundes des Fürsten Poniatowski.«
    »Mein Herr, Sie sind hergekommen, um mich zu bitten, die Dame gesund zu machen, nicht um mir Ratschläge zu erteilen. In Polen bin ich Pole, in Paris Pariser. Jeder tut Gutes auf seine Weise, und auch meine Habsucht hat, glauben Sie mir, ihre Gründe. Der Schatz, den ich zusammenraffe, hat seine Bestimmung, er ist unantastbar. Ich verkaufe die Gesundheit; die Reichen können zahlen und sie von mir kaufen. Die Armen haben ja ihre Ärzte... Wenn ich nicht ein bestimmtes Ziel verfolgte, würde ich die ärztliche Tätigkeit nicht ausüben... Ich lebe bescheiden und verbringe meine Zeit mit Umherrennen; von Natur aus

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