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Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Titel: Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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wir die dreitausend und etliche hundert Franken, mit denen das Manuskript belastet ist, vorweg bezahlen müßten, wären also zwölftausend Franken dabei zu riskieren. Ach, gnädige Frau, wenn Sie wüßten, wie bitter ich auf dem Wege vom Quai des Augustins bis hierher bereut habe, daß ich mein kleines Vermögen so töricht vergeudete! Der Geist der Barmherzigkeit ist über mich gekommen und hat mir die heiße Sehnsucht des Neophyten eingeflößt; ich will auf das Getriebe der Welt verzichten, ich will ebenso leben wie die Herren hier, ich will Ihrer würdig werden. In den letzten zwei Tagen habe ich schon oftmals den Zufall gesegnet, der mich hierher geführt hat. Ich werde Ihnen in allen Stücken gehorchen, bis Sie mich für fähig halten, einer der Ihrigen zu werden.
    Frau de la Chanterie überlegte reiflich und erwiderte dann in ernstem Tone: »Hören Sie mich an, ich habe Ihnen wichtige Dinge mitzuteilen. Mein liebes Kind, Sie sind von der Poesie des Unglücks verführt worden. Ja, oft hat auch das Unglück einen poetischen Charakter; für mich beruht die Poesie auf der Empfindung, und der Schmerz ist auch eine Empfindung. Wie sehr lebt man manchmal vom Schmerze! ...
    »Ja, gnädige Frau, ich bin vom Dämon der Neugierde überwältigt worden ... Was wollen Sie, ich bin noch nicht daran gewöhnt, den unglücklichen Wesen ins Herz zu schauen und mit der Ruhe Ihrer drei frommen Gottessoldaten vorzugehen. Bedenken Sie aber wohl, daß ich mich erst nach Aufgeben dieser Verirrung Ihrem Werke geweiht habe! ...«
    »Also hören Sie, mein geliebtes Kind,« sagte Frau de la Chanterie, die diese drei Worte mit einer himmlischen Sanftmut aussprach, von der Gottfried seltsam berührt wurde, »wir haben uns absolut untersagt, und wir deuteln hier nicht an den Worten; was untersagt ist, das beschäftigt uns auch nicht einmal in Gedanken – also wir haben uns untersagt, spekulative Geschäfte zu machen. Ein Buch drucken, um es zu verkaufen und auf den Gewinn warten, das ist ein Geschäft, und Operationen solcher Art würden uns in alle Schwierigkeiten des Handels verwickeln. Gewiß erscheint mir dieses Geschäft ausführbar, sogar notwendig. Glauben Sie, daß dies der erste derartige Fall für uns ist? Zwanzigmal, hundertmal haben wir darin ein Mittel gesehen, um Familien oder Geschäftshäufer zu retten! Was würde aber aus uns bei Geschäften solcher Art werden? Wir wären Kaufleute geworden... Bei einem Unglück mit Geld helfen, das heißt nicht selbst arbeiten, sondern das Unglück in den Stand zu setzen, sich herauszuarbeiten. In einigen Tagen werden Sie noch viel fürchterlicherem Elend begegnen, als dieses hier ist; werden Sie da ebenso handeln? Sie würden dabei unterliegen. Bedenken Sie, mein Kind, daß die Herren Mongenod seit Jahresfrist nicht mehr imstande sind, sich mit unseren Abrechnungen zu befassen. Sie werden die Hälfte Ihrer Zeit auf unsere Buchführung verwenden müssen. Wir haben heute annähernd zweitausend Schuldner in Paris; es ist erforderlich, daß wir wenigstens bei denjenigen, die uns das Geld zurückgeben können, die Höhe ihrer Schuld kennen... Wir fordern niemals zurück, wir warten ab. Wir rechnen damit, daß die Hälfte des ausgeliehenen Geldes verloren ist. Die andere Hälfte wird uns manchmal doppelt zurückgegeben. Nehmen Sie einmal an, daß dieser Richter stirbt, dann sind die zwölftausend Franken stark gefährdet. Setzen wir nun den Fall, daß seine Tochter geheilt wird, daß ihr Sohn Erfolg hat und eines Tages auch Richter wird... Gewiß, wenn er Ehrgefühl hat, wird er sich der Schuld erinnern und uns das Geld der Armen mit Zinsen zurückgeben. Wissen Sie, daß mehr als eine Familie, die von uns aus dem Elend gerettet und auf den Weg gebracht worden ist, wieder durch unsere zinslosen Darlehen zu Vermögen zu gelangen, für die Armen einen Teil beiseite gelegt und uns die Beträge verdoppelt und manchmal verdreifacht zurückgegeben hat?... Das sind unsere einzigen Spekulationsgeschäste! Überlegen Sie zunächst einmal in bezug auf das, was Sie beschäftigt (und es muß Sie beschäftigen), daß der Verkauf des Werkes dieses Richters von der Güte des Werkes abhängt; haben Sie es gelesen? Und dann, wenn auch das Buch vortrefflich ist, wieviel vortreffliche Bücher sind ein, zwei und drei Jahre liegengeblieben, bis sie den verdienten Erfolg hatten! Wieviel Kronen hat man auf Gräber legen müssen! Ich weiß auch, daß die Buchhändler eine Art haben, Geschäfte zu behandeln und zu

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