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Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Titel: Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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könntest du ein Vermögen damit erwerben... Stellen Sie sich vor, mein Herr, daß mein alter Vater wundervolle Geschichten für mich erfindet, wenn ich keinen Roman zum Lesen habe, und mich so einschläfert. Seine Stimme wiegt mich in Schlaf, und oft besänftigt er mit seinem Geist meine Schmerzen... Wer wird ihn jemals dafür belohnen?... August, mein Kind, um meinetwillen müßtest du die Fußstapfen deines Großvaters küssen.«
    Der junge Mann erhob seine schönen feuchten Augen zu seiner Mutter, und dieser Blick, in dem ein lange zurückgedrängtes Mitgefühl überströmte, war eine ganze Dichtung. Gottfried erhob sich und drückte August die Hand.
    »Gott hat Ihnen zwei Engel an die Seite gestellt, gnädige Frau!« rief er aus.
    »Ja, das weiß ich. Deshalb werfe ich mir auch oft vor, daß ich ihnen Ärger bereite. Komm her, lieber August, umarme deine Mutter. Das ist ein Kind, mein Herr, auf das jede Mutter stolz sein würde. Er ist rein wie Gold, freimütig und eine Seele ohne Fehl, nur eine ein bißchen zu leidenschaftliche Seele wie die seiner armen Mutter. Gott hat mich vielleicht ans Bett geschmiedet, um mich vor den Torheiten zu bewahren, die die Frauen begehen ... die zu viel Herz besitzen...«, fügte sie lächelnd hinzu.
    Gottfried antwortete nur mit einem Lächeln und einer Verbeugung.
    »Leben Sie wohl, mein Herr, und danken Sie vor allem Ihrem Freunde für das Instrument, das eine arme Kranke glücklich gemacht hat.«
    »Herr Bernard,« sagte Gottfried, als er mit diesem, der ihn begleitet hatte, allein war, »ich glaube, ich kann Ihnen die Zusicherung geben, daß Sie von diesem edlen Trio nicht werden ausgebeutet werden. Ich besitze schon die erforderliche Summe, aber Sie müssen mir Ihren Vertrag bezüglich des Vorkaufsrechtes anvertrauen... Um aber noch mehr für Sie zu tun, müssen Sie mir auch Ihr Werk zur Lektüre anvertrauen... nicht mir selbst, ich besitze nicht Kenntnisse genug, um es beurteilen zu können, sondern einem ehemaligen Richter von absoluter Integrität, der es auf sich nehmen will, wenn das Werk es verdient, eine ehrenhafte Firma zu finden, mit der Sie einen gerechten Vertrag abschließen können... Aber ich will Sie nicht dazu drängen. Inzwischen sind hier fünfhundert Franken,« fuhr er fort und reichte dem verblüfften alten Richter ein Bankbillett, »damit Sie Ihre dringendsten Bedürfnisse befriedigen können. Ich verlange keine Quittung von Ihnen, Sie sollen nur durch Ihr Gewissen gebunden sein, und auch das soll erst sprechen, sobald Sie in einigermaßen bessere Verhältnisse gekommen sind... Halpersohn zu bezahlen, übernehme ich.«
    »Aber wer sind Sie denn?« sagte der Alte und sank auf einen Stuhl.
    »Ich,« erwiderte Gottfried, »ich bin nichts; aber ich diene mächtigen Persönlichkeiten, denen Ihre Not jetzt bekannt geworden ist, und die sich für Sie interessieren... Mehr fragen Sie mich nicht.«
    »Und was ist der Beweggrund dieser Leute?« fragte der Alte.
    »Die Religion, mein Herr«, entgegnete Gottfried. »Wäre das möglich? ... Die Religion? ...«
    »Ja, die römisch-katholische apostolische Religion.«
    »Ah, Sie gehören zum Jesuitenorden?«
    »Nein, mein Herr«, erwiderte Gottfried. »Seien Sie beruhigt; diese Personen verfolgen in bezug auf Sie keine andere Absicht, als daß sie Ihnen helfen und Ihre Familie wieder glücklich machen wollen.
    »Die Philanthropie ist also doch noch etwas anderes als ein Ausfluß der Eitelkeit? ...«
    »Oh, mein Herr,« entgegnete Gottfried lebhaft, »beschimpfen Sie die heilige katholische Barmherzigkeit nicht, die Tugend, die der heilige Paul verkündigt hat!...«
    Als Herr Bernard diese Antwort vernahm, fing er an, mit großen Schritten im Zimmer auf und ab zu gehen.
    »Ich nehme Ihren Vorschlag an,« sagte er dann plötzlich, »und ich kann Ihnen meinen Dank nur dadurch ausdrücken, daß ich Ihnen mein Werk anvertraue. Die Noten und Zitate sind für einen alten Richter überflüssig; ich brauche auch noch, wie ich Ihnen schon sagte, zwei Monate, um die Zitate herauszuschreiben... Also auf morgen«, schloß er und drückte Gottfried die Hand.
    ›Sollte ich eine Bekehrung zustande gebracht haben?...‹ fragte sich Gottfried, der betroffen von dem veränderten Ausdruck war, den das Gesicht des großen Alten bei seiner letzten Antwort gezeigt hatte. Am übernächsten Tage hielt um drei Uhr ein Mietwagen vor dem Hause; und Gottfried sah Halpersohn, in einem riesigen Bärenpelz vergraben, aussteigen. Während der Nacht

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