Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)
Präsident geworden war, »kennen Sie den Namen des Verfassers dieser Arbeit?«
»Es ist ein Herr Bernard,« erwiderte Gottfried, »ich kenne ihn nur unter diesem Namen. Ich habe ja das Paket nicht geöffnet ...«
»Ach, richtig,« sagte sich Herr Nikolaus, »ich habe es ja selbst aufgemacht. Sie haben nicht«, fuhr er dann laut fort, »versucht, sich über sein Vorleben zu informieren?«
»Nein. Ich weiß nur, daß er aus Liebe die Tochter des Generals Tarlowski geheiratet hat; daß seine Tochter wie ihre Mutter Wanda heißt und sein Enkelsohn August; das Porträt, das ich von Herrn Bernard gesehen habe, war, wie ich glaube, das eines Präsidenten des Obersten Gerichtshofs in roter Robe.«
»Hier, lesen Sie,« sagte Herr Nikolaus und zeigte auf den Titel des Werkes, der, von Augusts Hand in kalligraphischer Schrift geschrieben, so lautete:
Geist
der neuen Gesetze.
Von M. Bernard-Jean-Baptiste Macloud Baron Bourlac,
Ehemaligem Generalstaatsanwalt am Obergericht von Rouen,
Großoffizier der Ehrenlegion.
»Ah, der Henker der gnädigen Frau, ihrer Tochter und des Chevaliers du Vissard!« sagte Gottfried mit matter Stimme. Seine Beine wurden ihm schwach, und er ließ sich auf einen Sessel fallen. –
»Ein hübsches Debüt«, murmelte er.
»Dies, mein lieber Gottfried,« fuhr Herr Nikolaus fort, »ist eine Sache, die uns alle angeht: Sie haben Ihre Arbeit getan, das übrige ist unsre Sache. Mischen Sie sich, ich bitte Sie, weiter in nichts und holen Sie alles, was Sie noch dort gelassen haben, ab. Kein Wort weiter und absolutes Stillschweigen! Und dem Baron Bourlac sagen Sie, er solle sich an mich wenden. Bis dahin werden wir uns schlüssig gemacht haben, wie wir weiter in dieser Angelegenheit verfahren wollen.«
Gottfried ging hinunter, entfernte sich, nahm einen Wagen und langte schnell am Boulevard Mont-Parnasse an, voller Entsetzen, wenn er an den Prozeß vor dem Gerichte in Caen, an das blutige Ende des Dramas auf dem Schafott und an den Aufenthalt der Frau de la Chanterie in Bicêtre dachte. Er verstand jetzt die Verlassenheit, in der der frühere Generalstaatsanwalt, ähnlich einem Foucquier-Tinville, seine letzten Tage verbrachte, und die Gründe für sein so sorgsam bewahrtes Incognito.
»Möchte doch Herr Nikolaus die arme Frau de la Chanterie recht grausam an ihm rächen!« Als er diesen nicht sehr katholischen Wunsch im Geiste formulierte, bemerkte er August.
»Was wünschen Sie von mir?« fragte Gottfried.
»Mein guter Herr, uns ist eben ein Unglück passiert, das mich ganz toll macht! Verbrecher haben alles bei meiner Mutter beschlagnahmt, und man sucht nach meinem Großvater, um ihn zu verhaften. Aber nicht um dieses Unglücks willen flehe ich Sie an,« sagte der Jüngling mit römischem Stolz, »sondern nur um Sie zu bitten, uns einen Dienst zu leisten, den man auch zum Tode Verurteilten nicht abschlägt ...«
»Sprechen Sie«, sagte Gottfried.
»Man hat sich der Manuskripte meines Großvaters bemächtigen wollen; und da ich glaube, daß er Ihnen sein Werk übergeben hat, so wollte ich Sie bitten, auch die Notizen an sich zu nehmen, denn die Portiersfrau wird mich nichts von hier fortbringen lassen... Tun Sie sie zu den Bänden, und ...«
»Gut, gut,« erwiderte Gottfried, »holen Sie sie schnell.«
Während der junge Mann in sein Zimmer eilte, um sogleich wiederzukommen, überlegte sich Gottfried, daß dieses Kind an dem Verbrechen unschuldig war, und daß er es nicht zur Verzweiflung bringen dürfe, indem er ihm von seinem Großvater und der Verlassenheit rede, mit der sein trauriges Alter für die Grausamkeiten seines politischen Wirkens bestraft wurde, und er nahm das Paket mit einer gewissen Freundlichkeit entgegen.
»Wie heißt Ihre Mutter eigentlich?« fragte er.
»Meine Mutter, mein Herr, ist die Baronin de Mergi; mein Vater war der Sohn des Ersten Präsidenten am Obergericht von Rouen.«
»Ah,« sagte Gottfried, »Ihr Großvater hat also seine Tochter mit dem Sohne des berühmten Präsidenten Mergi verheiratet?«
»Jawohl, mein Herr.«
»Lassen Sie mich jetzt allein, junger Freund«, sagte Gottfried. Er begleitete den jungen Baron bis zum Treppenabsatz und rief dann nach der Vauthier.
»Mutter Vauthier, sagte er, »Sie können über meine Wohnung verfügen, ich komme nicht mehr hierher.« Und er ging hinunter, um in seinen Wagen zu steigen.
»Haben Sie dem Herrn da etwas übergeben?« fragte die Vauthier August.
»Ja«, sagte der junge Mann.
»Sie sind gut! Das ist ja
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