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Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Titel: Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Sie ihr Vater sind.«
    »Und sind Sie Ihrer Sache sicher?« fragte Herr Bernard.
    »Ganz sicher,« wiederholte der Jude. »Die Dame hat in ihrem Körper ein Gift, eine Nationalkrankheit, davon muß sie befreit werden. Sie werden sie mir nach der Rue Basse-Saint-Pierre in Chaillot in die Klinik des Doktors Halpersohn bringen.«
    »Aber wie denn?«
    »In einer Sänfte, so wie man alle Kranken ins Hospital bringt.«
    »Aber die Überführung wird ihr Tod sein!«
    »Nein!« Und Halpersohn war nach diesem trockenen »Nein« schon aus der Tür, so daß Gottfried ihn er erst auf der Treppe erreichte. Der Jude, der vor Hitze erstickte, sagte leise zu ihm: »Außer den tausend Talern kostet es fünfzehn Franken täglich, und davon sind drei Monate vorauszubezahlen.«
    »Schön, mein Herr. Und«, fragte Gottfried, der auf den Tritt des Wagens, in den sich Halpersohn geworfen hatte, stieg, »Sie übernehmen die Verantwortung für die Heilung?«
    »Ich übernehme sie«, wiederholte der jüdische Arzt.
    »Sie lieben die Dame...?«
    »Nein«, sagte Gottfried.
    »Was ich Ihnen jetzt anvertraue, werden Sie nicht weitersagen; ich teile es Ihnen nur mit, um Ihnen zu beweisen, daß ich meiner Sache sicher bin, und wenn Sie eine Indiskretion begehen, so könnte das der Tod der Dame sein...«
    Gottfried antwortete nur mit einer Geste.
    »Sie ist seit siebzehn Jahren ein Opfer des polnischen Weichselzopfgiftes (Plica polonica), das alle diese Verwüstungen bei ihr hervorgerufen hat; ich habe noch viel schrecklichere Beispiele davon gesehen. Ich allein nur bin heute imstande, den Weichselzopf so zu vertreiben, daß Heilung erfolgt, denn nicht immer gelingt die Heilung. Sie sehen, mein Herr, daß ich recht uneigennützig handle. Wäre es eine große Dame, eine Baronin von Nucingen, oder jede andere Frau oder Tochter eines modernen Krösus, so würde mir eine solche Kur mit hundert-, mit zweihunderttausend Franken, mit jeder Summe, die ich fordern würde, bezahlt werden... Aber das hier ist nur eine unerhebliche Sache.«
    »Und die Überführung?«
    »Bah! es wird aussehen, als ob sie stürbe, aber sie wird nicht sterben!... Sie hat noch für hundert Jahre Leben in sich, wenn sie einmal geheilt sein wird. Vorwärts, Jakob!... Schnell nach der Rue de Monsieur!... Schnell!...« sagte er zu dem Kutscher. Und er ließ Gottfried auf dem Boulevard zurück, der verblüfft dem sich entfernenden Wagen nachblickte.
    »Wer war denn der komische Mann in dem Bärenpelz? fragte die alte Vauthier, der nichts entging. »Ist das wahr, was mir der Droschkenkutscher gesagt hat, daß das der berühmteste Pariser Arzt ist?«
    »Was geht Sie denn das an, Mutter Vauthier?
    »Ach, nichts!« entgegnete sie und verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse.
    »Sie haben sehr falsch gehandelt, daß Sie sich nicht auf meine Seite gestellt haben,« sagte Gottfried, der mit langsamen Schritten sich dem Hause wieder zuwandte, »Sie hätten mehr verdient als bei den Herren Barbet und Métivier, von denen Sie nichts bekommen werden.«
    »Bin ich denn für diese Herren?« entgegnete sie und zuckte die Achseln. »Herr Barbet ist mein Hauseigentümer, das ist alles!«
    Es bedurfte zweier Tage, bis sich Herr Bernard entschloß, sich von seiner Tochter zu trennen und sie nach Chaillot zu bringen. Gottfried und der alte Richter machten den Weg, jeder an einer Seite der Sänfte, die mit blauweiß gestreiften Vorhängen versehen war, und auf der die geliebte Kranke an die Matratze beinahe festgebunden war, so sehr fürchtete ihr Vater die Erschütterungen bei einer Nervenkrise. Endlich langte der Zug, der um drei Uhr aufgebrochen war, gegen fünf Uhr bei Sonnenuntergang in der Klinik an. Gottfried bezahlte gegen Quittung die im voraus verlangten vierhundertfünfzig Franken; als er dann hinunterging, um den beiden Trägern ein Trinkgeld zu geben, kam ihm Herr Bernard nach, zog ein unter der Matratze verstecktes, sehr umfangreiches, verschnürtes Paket hervor und übergab es Gottfried.
    »Einer von den Leuten wird Ihnen einen Wagen holen«, sagte der Alte, »denn Sie könnten die vier Bände nicht lange tragen. Das ist mein Werk, übergeben Sie es meinem Zensor, ich vertraue es ihm für diese ganze Woche an. Ich werde mindestens acht Tage mich in dieser Gegend aufhalten, denn ich will meine Tochter nicht so alleinlassen. Ich kenne meinen Enkelsohn, er kann das Haus hüten, besonders wenn Sie ihn dabei unterstützen; im übrigen empfehle ich ihn Ihrer Obhut. Wenn ich noch der alte wäre,

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