Kein Alibi: Roman (German Edition)
Wartezimmer relativ ruhig, aber einige Patienten waren doch da. Ein uniformierter Polizist bewachte einen Mann in Handschellen, der ein blutiges Frotteehandtuch wie einen Turban um den Kopf gewickelt hatte. Die Augen des Mannes waren geschlossen, und er stöhnte, während seine Frau einer Krankenschwester lakonisch die Standardfragen zu seiner Krankengeschichte beantwortete. Ein junges Elternpaar versuchte vergeblich, sein brüllendes Kleinkind zu beruhigen. Ein älterer Mann saß alleine da und schluchzte ohne ersichtlichen Grund in ein Taschentuch. Eine Frau hockte, fast mit dem Kopf im Schoß, völlig zusammengekrümmt auf ihrem Stuhl. Anscheinend schlief sie.
Für den üblichen Ansturm an dramatischen Notfällen war es noch ein wenig zu früh.
Smilow und Steffi gingen direkt zum Einlieferungsschalter, wo sich Smilow der Krankenschwester vorstellte, ihr seine Dienstmarke zeigte und sich erkundigte, ob sich die Leute aus dem Charles Towne Plaza noch immer in den Räumen der Notaufnahme befänden oder bereits in Krankenzimmer eingewiesen worden waren.
»Sie sind noch hier«, erzählte ihm die Schwester.
»Ich muss sie auf der Stelle sehen.«
»Nun, ich … ich werde den Arzt anpiepsen. Nehmen Sie Platz.« Keiner von beiden setzte sich. Steffi tigerte auf und ab. »Ich kapiere einfach nicht, dass euren Jungs die Diskrepanz nicht aufgefallen ist. Sollten sie nicht die Anzahl der registrierten Gäste mit der Anzahl der Befragten abgleichen?«
»Steffi, gestatte ihnen doch auch mal ’ne Schlamperei. Die Leute sind im Laufe mehrerer Stunden hereingezockelt, nachdem sie stundenlang nicht im Hotel waren. Wir reden hier von hunderten registrierten Gästen, zusätzlich zu schichtweise arbeitenden Angestellten. Die Ermittlung einer genauen Personenzahl wäre schier unmöglich gewesen.«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte sie ungeduldig. »Aber nach Mitternacht? Wenn alle mehr oder weniger im Bett stecken? Ich hätte erwartet, dass einer von ihnen noch einmal an eine genaue Überprüfung der Personenzahl gedacht hätte. Oder waren sie zu sehr in ihr Filmchen vertieft?«
»Die hatten alle Hände voll zu tun«, meinte er steif.
»Tja, mit Wichsen.«
Smilow war der Erste, der es kritisierte, wenn ein Ermittlungsbeamter Mist baute. Wenn aber die Kritik von einem Außenseiter kam, war das etwas anderes. Wütend kniff er die Lippen zum Strich zusammen.
»Schau, tut mir Leid«, meinte Steffi in einem wesentlich milderen Ton. »Das wollte ich nicht sagen.«
»Tja, hast du aber. Übrigens solltest du es mir überlassen, über die Beweisfindung zu grübeln, okay?«
Steffi wusste, wann sie klein beigeben musste. Es wäre unklug, sich Smilow zu entfremden. Entgegen der Anordnung der frisch gebackenen Witwe beabsichtigte sie allen Ernstes, zu Bezirksstaatsanwalt Monroe Mason zu gehen und ihn darum zu bitten, in diesem Fall als Hauptvertreterin der Anklage eingesetzt zu werden. Und dazu benötigte sie die Unterstützung des Polizeipräsidiums. Besonders die von Smilow.
Sie gab ihm ein paar Momente zum Beruhigen, ehe sie sagte: »Ich befürchte, auch die Leute mit der Lebensmittelvergiftung werden den Täter nicht kennen. Man hat sie bereits vor der wahrscheinlichen Tatzeit ins Krankenhaus verfrachtet.«
»Bei einigen sind die Symptome erst später ausgebrochen«, widersprach er. »Der Hotelmanager hat gestanden, er hätte sie an besagtem Abend erst gegen acht heimlich hierher gefahren.«
»Warum hat er dir das nicht erzählt?«
»Schlechte PR. Offensichtlich macht ihm die frische Lebensmittelvergiftung samt aller Konsequenzen für seine nagelneue Küche mehr Sorgen als Pettijohns Leiche in der Penthouse-Suite.«
»Sie wollten mich sprechen?«
Beide drehten sich um. Der Arzt war noch jung genug für Aknespuren, und doch wirkten seine Augen hinter der Nickelbrille alt, müde und übernächtigt. Sein grüner OP-Anzug und der weiße Medizinerkittel waren zerknittert und hatten Schweißflecken. Auf seinem Fotoausweis stand RODNEY C. ARNOLD.
Wieder präsentierte Smilow seine Dienstmarke. »Ich muss die Leute befragen, die vom Charles Towne Plaza mit Lebensmittelvergiftung eingeliefert wurden.«
»Worüber?« »Möglicherweise handelt es sich um wichtige Zeugen in einem Mord, der gestern Nachmittag im Hotel geschah.«
»In dem neuen Hotel? Sie machen Witze.«
»Leider nicht.«
»Gestern Nachmittag?«
»Bis uns die Gerichtsmedizin einen genaueren Zeitpunkt geben kann, gehen wir davon aus, dass das Opfer zwischen vier und
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