Kein Biss unter dieser Nummer
du etwas findest, worüber du meckern kannst.«
Grmpf. Mein Geheimnis war enthüllt! »Verrate es bloß niemandem«, drohte ich, und meine Finger gruben sich in seine Arme. »Es sei denn, du willst, dass ich ausplaudere, was in
Sturm der Schwerter
passiert.«
Er winselte und riss sich los. »Ich mein ja nur. Du weißt, dass du diesen ganzen Scheiß hier liebst.«
»›Lieben‹ ist womöglich ein wenig übertrieben …« Ich war unglaublich erleichtert, dass er mir nicht auf die Schliche gekommen war. Wissen Sie, wie dick die Bände der
Das Lied von Eis und Feuer
-Reihe sind? Damit kann man bequem jede Tür aufhalten. Wer hat die Zeit, das alles zu lesen? Zum Glück sind sie verfilmt worden und
Game of Thrones
ist wirklich eine tolle Fernsehserie. Man sollte mehr dicke Wälzer fürs Fernsehen und Kino verfilmen. Das spart eine Menge Zeit.
»Das ist es nicht«, gab Marc zurück und wandte sich wieder seinem Magazinartikel zu.
Ich schaute mich in der Küche um, die so groß war wie ein Restaurant. Überall standen Hackklötze herum, es gab Dutzende Schränke, zahlreiche Kühlschränke und Tiefkühlschränke, mehrere Mixer (wir waren alle eingefleischte Smoothie-Süchtige), zahlreiche Schubladen und Anrichten, in denen sich jegliches Küchenzubehör befand, was man sich nur vorstellen kann. Man konnte hier einfach alles zusammenrühren, worauf man Lust hatte. In diesem Raum war es immer warm und hell; wir fühlten uns stets sicher. Nun. Einigermaßen sicher. »Ja, ja, schon gut. Aber behalt es für dich, ja?«
Er warf mir einen »Du kannst keinen von uns an der Nase herumführen«-Blick zu, doch da er es nicht laut aussprach, konnte ich es durchgehen lassen und meinen Stolz bewahren. Denn darum ging es mir eigentlich! Dass ich in jeder Situation, jederzeit meinen Stolz bewahren konnte.
Uah, hab ich das wirklich gerade gedacht?
9
Mom und Tina, die gleichzeitig die Küche ansteuerten, verhinderten, dass ich mich noch länger im schwarzen Sumpf meiner Eitelkeit und meines Stolzes suhlen konnte. Fast wären die beiden an der Tür gegeneinandergeprallt, doch Tina vermied den Zusammenstoß noch rechtzeitig, indem sie höflich einen Schritt zurücktrat. Wie es schien, hatte Mom sie gar nicht bemerkt. Ich war mir sicher, sie hatte keinen blassen Schimmer, dass Tina ihr an den Fersen klebte, so wie in: »Achtung! Der Vampir steht direkt hinter dir! Und der Anruf kommt aus dem Haus!«
»Gut.« Mom atmete tief durch, wie um sich für ein sehr heikles Gespräch zu wappnen. Hatten wir etwa kein Klopapier mehr in den Gästetoiletten? »Ich werde noch einmal versuchen, mit euch allen über diese Sache zu reden«, sagte sie und drückte die Schwingtür auf. (Ich wartete gespannt auf den Tag, an dem irgendwer die Tür vor die Nase geknallt bekam – im Fernsehen führen Schwingtüren immer zu Heiterkeit auslösenden Unfällen.) Mom trat in die Küche, gerade so weit, dass die Schwingtür hinter ihr hätte zufallen können. Was sie aber nicht tat, denn Tina fing sie ab und wartete geduldig darauf, dass meine Mutter einen weiteren Schritt in die Küche machte, damit sie ebenfalls eintreten konnte.
»Ich wusste ja schon gestern, dass etwas nicht stimmt. Und nachdem ich nun mit Jessica und Marc geredet habe – und auch mit dir, lieber …« Dick-nicht-Nick strahlte, wie immer froh darüber, wenn man ihn mit einbezog. Ob es sich nun um eine Abstimmung für einen Smoothie handelte, eine Nachricht wie
Schicke das an alle, die du liebst, damit sie wissen, wie sehr du sie liebst
, die er als treuer Facebook-Nutzer zuverlässig weiterleitete, oder die gelegentliche Kneipenprügelei: Die Nick-Ausgabe in dieser Realität nahm freudig an allem teil. »… und ich denke, ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr in großen Schwierigkeiten stecken könntet. Etwas ist hier wirklich … huch!«
Moms träge Sinne hatten sie endlich auf Tinas Anwesenheit aufmerksam gemacht. Nicht zum ersten Mal stellte ich fest, dass es verblüffend und beängstigend zugleich war, wie schnell ich mich an meine ultrascharfen Sinne gewöhnt hatte. Ich hatte Tina schon gehört, als sie sich noch im oberen Stockwerk aufgehalten hatte. Genau genommen hatte ich sie schon gehört, bevor sie an diesem Abend überhaupt aufgestanden war. Zu jedem Zeitpunkt hätte ich genau sagen können, in welchem Teil des Hauses sie sich gerade befand. Ich wusste, dass ihr Weichspüler zur Neige ging und sie das Shampoo gewechselt hatte. Ich wusste, dass sie noch keinen Schluck von
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