Kein Biss unter dieser Nummer
ging.
»Warum ich dir nicht erzählt habe, dass Sinclair eine Kirche betreten und Weihnachtslieder singen kann?« Oh, Mann, und wie er das konnte! Er liebte Weihnachten und alles, was dazugehört, noch mindestens hundert Mal mehr als den Kirchgang. Neuerdings kam es durchaus vor, dass mein Geliebter beim Sex
Jingle Bells
trällerte. »Erotisch und surreal« beschreibt diese Erfahrung nicht einmal annähernd. »Warum ich nicht erwähnt habe, dass er jetzt durch ein Einkaufszentrum spazieren kann, ohne befürchten zu müssen, dass ihm die Ohren wegen der Weihnachtslieder explodieren und abfallen? Obwohl dieses Risiko, genau betrachtet, zu dieser Jahreszeit für jeden besteht.«
»Ja! Warum hast du mir das alles nicht erzählt? Warum habt ihr beiden es nicht wie die Spatzen von den Dächern geträllert? Betsy, das ist doch eine großartige Neuigkeit!« Sie packte mich vor Begeisterung am Arm … und jaul! Der Antichrist brauchte ganz dringend eine Maniküre. Lange, unmanikürte und eingerissene Nägel! Es war so, als hätte ein blondes Raubtier im Freiwilligenkittel seine Pranken in meinen Unterarm geschlagen. »Du hättest ihn sehen sollen. Er war völlig furchtlos und so … so glücklich, sich in der Kapelle aufhalten zu können! Ich habe gesehen, wie er im Licht von Gottes Liebe gebadet hat.«
»Okay.« Gebadet? In Liebe? War das eine Übertreibung, also eine Hyperbel? Moment, hieß das überhaupt so? Wie dem auch sei, sie freute sich für ihn, und ich war froh darüber. »Der Grund, warum ich es dir nicht erzählt habe – niemandem erzählt habe –, ist der, dass mich Sinclair darum gebeten hat, Stillschweigen darüber zu bewahren. Er wollte es eine Weile geheim halten. Aber früher oder später hätte ich es dir schon noch gesagt, denn es bestätigt meine Meinung, dass deine Mom sterben wollte und dass ich irgendwie auch ein Opfer bin.«
Sie schüttelte den Kopf, und, was viel besser war, sie nahm ihre dolchgleichen Finger von meinem empfindlichen Unterarm. Ah! Autschi! »Das verstehe ich nicht.«
»Dann erkläre ich es dir noch einmal. Satan hat mir einen Wunsch gewährt. Und nicht etwa, weil sie Angst vor mir hatte, und auch nicht, um mich zu verletzen – es war nicht so ein Wunsch wie in der Geschichte
Die Affenpfote
. Warum also sollte sie mir einen Wunsch erfüllen, wenn nicht als Dank dafür, dass ich ihr gegeben habe, was sie wollte?«
Laura schwieg.
»Ich wusste anfangs gar nicht, was ich mir wünschen sollte. Es ist ja nicht so, dass ich morgens wach liege und mir überlege, um was ich Satan bitten soll, falls sie mir einen Wunsch gewährt. Außerdem hat sie mir ein Zeitlimit gesetzt! Das war so typisch für sie! Jedenfalls, nachdem sie beharrlich darauf bestanden hatte, dass ich in der Hölle gegen die Zeit spiele, ist mir schließlich etwas eingefallen. Und die Entscheidung, ob ich etwas für Sinclair tun oder mir lieber meinen geliebten Christian herbeiwünschen sollte, ist mir wahrlich nicht leichtgefallen …« Aber darüber konnte ich nicht reden, ohne zu befürchten, dass ich in der Lobby des Fairview einen Heulkrampf bekam und der Antichrist mir tröstend auf die Schulter klopfen würde. »Ich habe mir jedoch nicht gewünscht, dass er sich im Freien aufhalten kann, um an seiner Sonnenbräune zu arbeiten. Ich habe mir gewünscht, dass er das Licht ertragen kann.«
Sie runzelte die Stirn und dachte darüber nach. »Jedes Licht? Selbst … das Licht von Gottes Liebe?«
»Frag den Kerl, der jetzt in unserem Badezimmer Weihnachtslieder grölt!« Nicht, dass Vampire unbedingt ein Badezimmer bräuchten. Doch ich überzeugte mich immer noch gern davon, dass mein Lidschatten so atemberaubend wie möglich aussah. Und wir duschten gern zusammen. Und nun duschten wir zusammen, während Sinclair aus voller Lunge
Jingle Bells
in seinem seifigen Bariton sang. Ich … begreife nicht wirklich, warum mein Leben eine derartige Wendung genommen hat.
»Ich glaube, wir haben uns schon vor meiner Auszeit im Höllennebel darauf geeinigt, dass ich mich nicht dafür entschuldigen werde, deine Mom getötet zu haben.«
»Ja, und während du in der Hölle warst, habe ich dem Vampirkönig erklärt, dass ich mich nicht dafür entschuldigen werde, dir eine Auszeit im Höllennebel verschafft zu haben.«
»Jetzt sieh dir das an! Wir sind uns schon in so vielen Dingen einig!« Ich lächelte; vermutlich war es kein sehr freundliches Lächeln, denn Lauras Mundwinkel zogen sich nach unten. Ich ermahnte mich, dass ich
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