Kein böser Traum
Gesicht. Auf den restlichen Fotos war er nicht mehr zu sehen. Sie waren entweder von Freddy oder von Freddy und seiner Mutter.
Das Zimmer war makellos sauber, alles wirkte sehr gepflegt. Wie unter einer Käseglocke, unberührt, unbenutzt. Auf einem Beistelltisch stand eine Sammlung kleiner Porzellanfiguren. Und weitere Fotos. Ein ganzes Leben, dachte Charlaine. Freddy Sykes hatte ein Leben. Ein seltsamer Gedanke, aber so war es.
Charlaine ging weiter ums Haus herum zur Garage. An deren Rückseite befand sich ein Fenster. Es war mit einem dünnen Vorhang aus Nylonspitze verhängt. Sie stellte sich auf Zehenspitzen. Ihre Finger griffen nach dem Fenstersims. Das Holz war so alt, dass es beinahe abgebrochen wäre. Abblätternde Farbe segelte wie Schuppen durch die Luft.
Sie spähte in die Garage.
Da stand noch ein Wagen.
Keine Limousine. Ein Minivan. Ein Ford Windstar. In einer Vorstadt wie dieser kannte man sämtliche Modelle.
Freddy Sykes besaß keinen Ford Windstar.
Möglicherweise gehörte er dem asiatisch aussehenden Gast. Das ergab doch einen Sinn, oder etwa nicht?
Sie war nicht überzeugt.
Und was jetzt?
Charlaine starrte zu Boden und dachte angestrengt nach. Seit ihrem Entschluss, zu Freddy Sykes hinüberzugehen, versuchte sie sich über eines klar zu werden. Noch bevor sie die Sicherheit ihrer Küche verlassen hatte, hatte sie gewusst, dass auf ihr Klopfen niemand antworten würde. Sie hatte gewusst, dass es nichts bringen würde, in die Fenster zu schauen – gegen den »Spanner« zu spannen.
Der große Stein.
Er lag dort, wo einst ein Gemüsegarten gewesen war. Sie hatte einmal gesehen, wie Freddy sich daran zu schaffen gemacht hatte.
Es war kein echter Stein. Es war ein Schlüsselversteck. Die waren mittlerweile so beliebt, dass Einbrecher danach Ausschau hielten, noch bevor sie die Fußmatte lüfteten.
Charlaine bückte sich, hob den Stein an und kippte ihn zur Seite. Sie musste nur noch die kleine Latte im Boden zur Seite schieben und den Schlüssel herausholen. Genau das tat sie auch. Der Schlüssel lag in ihrer Handfläche und glänzte in der Sonne.
Hier war die Grenze. Sobald sie überschritten war, gab es kein Zurück.
Sie ging zur Hintertür.
14
Noch immer mit dem Seeräuberlächeln auf dem Gesicht öffnete Cram den Wagenschlag, und Grace stieg aus der Limousine. Carl Vespa stieg allein auf seiner Seite aus. Auf der riesigen Neonreklame stand der Name einer christlichen Sekte, von der Grace noch nie gehört hatte. Das Logo, das sich überall im Umkreis des Gebäudes wieder fand, besagte, dies sei »Gottes Haus«. Falls das stimmte, hätte Gott sich nach Graces Meinung getrost einen einfallsreicheren Architekten nehmen können. Der Bau versprühte Glanz und Wärme einer Autobahnraststätte.
Im Inneren war es noch schlimmer. Hier war Luxus so dick aufgetragen, dass Graceland daneben wie eine bescheidene Hütte gewirkt hätte. Der Teppichboden war in einem irisierenden Rot, das normalerweise billigen Kaufhaus-Lippenstiften vorbehalten ist. Die Tapete setzte sich etwas dunkler, eher blutrot, dagegen ab, ein Samtimitat, das unzählige Sterne und Kreuze schmückten. Die Wirkung war Schwindel erregend. Im Zentrum lag eine Kapelle oder ein Gebetshaus – von den Ausmaßen eines Sportstadions –, dessen Gestühl an Kirchenbänke erinnerte. Die Sitzgelegenheiten wirkten unbequem, wodurch Besucher möglicherweise
dazu angehalten werden sollten, lieber stehen zu bleiben. Grace kam wie schon häufiger der zynische Gedanke, dass die Tatsache, dass sich die Gemeinde während eines Gottesdienstes häufig erheben musste, weniger Respekt bezeugen sollte, sondern vielmehr dazu gedacht war, die Gläubigen wach zu halten.
Kaum hatte Grace die Arena betreten, bekam sie Herzflimmern.
Der Altar, wie eine Cheerleader-Uniform komplett in Grün und Gold gehalten, wurde gerade von der Bühne gerollt. Grace hielt nach Priestern mit billigen Toupets Ausschau, konnte jedoch niemand dieses Standes entdecken. Die Band – Grace nahm an, dass es die Gruppe Rapture war – baute bereits ihre Instrumente auf. Carl Vespa blieb, den Blick auf die Bühne gerichtet, vor ihr stehen.
»Gehören Sie zu dieser Gemeinde?«, fragte Grace.
Er lächelte flüchtig. »Nein.«
»Ich nehme an, dass Sie auch kein Fan von – Rapture sind?«
Vespa beantwortete die Frage nicht. »Gehen wir näher ran.«
Cram machte den Anfang. Überall waren Sicherheitsleute. Sie stoben auseinander, als sei Cram ein giftiges Reptil.
»Was
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