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Kein böser Traum

Kein böser Traum

Titel: Kein böser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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ist hier los?«, wollte Grace wissen.
    Vespa stieg unbeirrt die Treppe hinunter. Als sie den Bereich unmittelbar vor der Bühne erreichten, hob Grace den Blick, sah sich um und erkannte, dass sie sich in einem riesigen Amphitheater befanden. Die Bühne lag in der Mitte, an allen Seiten vom Theaterrund umgeben. Grace hatte das Gefühl, als drücke ihr jemand die Kehle zu.
    Wenn es auch religiös verbrämt war, bestand kein Zweifel.
    Alles deutete auf ein Rockkonzert hin.
    Vespa nahm ihre Hand. »Alles in Ordnung.«
    Nichts war in Ordnung. Sie wusste es. Seit fünfzehn Jahren hatte sie weder eine Sportveranstaltung noch ein Open-Air-Konzert besucht. Früher war sie ein Fan von Rockkonzerten gewesen. Sie erinnerte sich, während ihrer Highschool-Zeit Bruce
Springsteen und die E-Street-Band im Asbury Park Convention Center erlebt zu haben. Was ihr seltsam vorkam, und was sie schon damals erkannt hatte, war, dass die Grenze zwischen einem Rockkonzert und einer von starken Gefühlen durchdrungenen religiösen Veranstaltung fließend war. Es hatte einen Augenblick gegeben, als Bruce zwei von Graces Lieblingssongs »Meeting Across the River« gefolgt von »Jungleland« gespielt hatte – da war sie aufgesprungen und hatte sich, die Augen geschlossen, einen Schweißfilm auf der Haut, wie in Trance hingegeben, bebend vor Glückseligkeit. So mussten sich auch die Menschen fühlen, die ein Fernsehprediger mit hochgereckten Armen von den Sitzen riss.
    Sie liebte dieses Gefühl. Und sie wusste, dass sie es nie wieder erleben wollte.
    Grace entzog Carl Vespa ihre Hand. Er nickte, als habe er verstanden. »Kommen Sie«, sagte er sanft. Grace hinkte hinter ihm her. Sie hatte das Gefühl, das Bein immer mühsamer nachziehen zu müssen. Ihre Muskeln zuckten. Das alles war eine Sache der Psyche. Das war ihr klar. Beengte Räume jagten ihr keine Angst ein. Riesige Auditorien, besonders wenn sie voll besetzt waren, versetzten sie in Panik. Die Ränge hier waren allerdings leer. Zum Glück. Doch ihre Phantasie spielte ihr einen Streich und lieferte ungebeten die beängstigende Geräuschkulisse.
    Schrille Rückkoppelungen aus einem Verstärker ließen sie zusammenzucken. Sie waren in eine Tonprobe geraten.
    »Was soll das Ganze?«, fragte sie Vespa.
    Seine Züge waren starr, sein Gesichtsausdruck entschlossen. Er bog nach links. Grace folgte ihm. Über der Bühne hing eine Art Anzeigetafel, auf der zu lesen stand, dass Rapture auf einer dreiwöchigen Tournee sei und die Musik mache, die »Gott auf seinem MP3-Player hat«.
    Jetzt betrat die Band die Bühne. Die Mitglieder versammelten sich in der Mitte, unterhielten sich kurz und begannen zu spielen.
Grace war überrascht. Sie klangen ziemlich gut. Der Text war schnulzig. Es war viel von Himmel, ausgebreiteten Schwingen und Himmelfahrten die Rede. Grace empfand die Texte genauso abstoßend wie den brutalen Gossenjargon einiger Rapper.
    Die Leadsängerin, mit kurzem platinblondem Pagenschnitt, sang mit zum Himmel aufgeschlagenen Augen und sah aus wie vierzehn. Rechts neben ihr stand ein Gitarrist. Mit seinen schwarzen Schillerlocken und der Tätowierung eines überdimensionalen Kreuzes auf dem rechten Bizeps wirkte er eher wie ein Vertreter der Heavy-Metal-Szene. Er prügelte auf die Saiten seiner Gitarre ein, als sei er wütend darauf.
    In einer Pause sagte Carl Vespa: »Den Song haben Doug Bondy und Madison Seelinger geschrieben.«
    Sie zuckte die Achseln.
    »Doug Bondy hat die Musik geschrieben. Madison Seelinger – das ist die Sängerin dort oben – den Text.«
    »Und weshalb sollte mich das interessieren?«
    »Weil Doug Bondy am Schlagzeug sitzt.«
    Sie gingen weiter zur Seite der Bühne, um bessere Sicht zu haben. Die Musik setzte erneut ein. Sie standen vor einem Lautsprecher. Der dumpfe Rhythmus der Bässe brachte Graces Trommelfelle zum Schwingen. Unter normalen Umständen hätte sie den Sound genossen. Doug Bondy, der Schlagzeuger, saß halb verborgen hinter einer Ansammlung von Schlaginstrumenten. Sie trat noch ein paar Schritte zur Seite. Jetzt konnte sie ihn besser erkennen. Er schlug mit geschlossenen Augen auf die Trommeln ein, sein Gesicht war friedlich entspannt. Er sah älter aus als die übrigen Bandmitglieder. Er trug das Haar kurz geschoren. Er war glatt rasiert. Und er trug eine schwarze Elvis-Costello-Brille.
    Grace fühlte, wie ihr Herzflimmern stärker wurde. »Ich möchte nach Hause.«
    »Er ist es doch, oder?«
    »Ich will nach Hause.«

    Der Schlagzeuger

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