Kein böser Traum
das zur Sache?«
Er zögerte einen Moment zu lange. »Ich versuche nur in Erfahrung zu bringen, wie gut Sie Ihren Mann kennen.«
»Wir sind seit zehn Jahren miteinander verheiratet.«
»Das ist mir klar.« Er rutschte auf seinem Sitz hin und her. »Sie haben sich im Urlaub kennen gelernt?«
»Ich weiß nicht, ob man das als Urlaub bezeichnen kann.«
»Sie haben studiert. Sie haben gemalt.«
»Ja.«
»Und vor allem – waren Sie auf der Flucht.«
Sie sagte nichts.
»Und Jack?«, fuhr Vespa fort. »Warum war er in Frankreich?«
»Schätze, aus dem gleichen Grund.«
»Er ist auch davongelaufen?«
»Ja.«
»Wovor?«
»Keine Ahnung.«
»Dann liegt die Sache für mich auf der Hand.«
Sie wartete.
»Wovor er auch immer davongelaufen ist«, Vespa machte eine Geste in Richtung Foto, »es hat ihn wieder eingeholt.«
Dieser Gedanke war Grace auch schon gekommen. »Das ist lange her.«
»Wie das Massaker von Boston. Sie sind geflohen. Aber das hat es auch nicht ungeschehen gemacht, oder?«
Grace fing Crams Blick im Rückspiegel auf. Er wartete offenbar ebenfalls auf eine Antwort. Sie schwieg.
»Die Vergangenheit holt einen immer wieder ein, Grace. Das wissen Sie.«
»Ich liebe meinen Mann.«
Er nickte.
»Helfen Sie mir?«
»Sie kennen die Antwort. Ja.«
Die Limousine verließ den Garden State Parkway. Sie fuhren auf ein riesiges, nichtssagendes Gebäude zu, auf dessen Dach ein Kreuz thronte. Von außen sah der Komplex wie ein Flugzeughangar aus. Ein Neonschild informierte den Betrachter, dass für das »Konzert mit Gott« noch Karten zu haben waren. Eine Band mit Namen Rapture sollte auftreten. Cram lenkte die Limousine auf einen Parkplatz von ungeahnten Ausmaßen.
»Was wollen wir denn hier?«
»Gott finden«, sagte Carl Vespa. »Vielleicht auch seinen Gegenspieler. Gehen wir erst mal hinein. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
13
Das ist kompletter Irrsinn, dachte Charlaine.
Ihre Füße trugen sie unaufhaltsam zu Freddy Sykes’ Garten hinter dem Haus. Flüchtig war ihr der Gedanke gekommen, sie habe sich aus Langeweile, um der Ereignislosigkeit ihres Lebens zu entfliehen, ganz bewusst auf dieses Abenteuer eingelassen. Aber was sollte schon Aufregendes passieren? Was konnte schlimmstenfalls passieren? Angenommen Mike kam ihr auf die Schliche. Würde er sie verlassen? Wäre das Grund genug?
Wollte sie vielleicht erwischt werden?
Genug der hausgemachten Selbstanalysen. Es konnte nicht schaden, an Freddys Tür zu klopfen und die besorgte Nachbarin zu spielen. Vor zwei Jahren hatte Mike einen über einen Meter
hohen Palisadenzaun an der hinteren Gartengrenze errichtet. Ursprünglich hätte der Zaun noch höher werden sollen, doch die Baubehörde hatte den Antrag abgelehnt. Nur ein Swimmingpool hätte einen hohen Zaun rechtfertigen können.
Charlaine öffnete das Gatter im Zaun, das ihren Garten mit Freddys Garten verband. Seltsames Gefühl. Es war das erste Mal. Sie hatte die Gartentür nie zuvor benutzt.
Je näher sie Freddys Hintertür kam, desto bewusster wurde ihr, wie alt und schäbig das Haus aussah. Die Farbe blätterte ab. Der Garten war ungepflegt. Unkraut wucherte aus den Fugen im Plattenweg. Der Rasen war fleckig gelb. Sie drehte sich um und blickte zu ihrem Haus zurück. Sie hatte es noch nie aus dieser Perspektive gesehen. Es wirkte ebenfalls nicht mehr ganz taufrisch.
Sie stand vor Freddys Hintertür.
Also, und was jetzt?
Klopf an, du dumme Gans!
Sie tat es. Sie begann mit einem leisen Klopfen. Keine Reaktion. Sie pochte lauter. Nichts. Sie presste ein Ohr an die Tür. Aber was sollte das nützen? Erwartete sie einen erstickten Schrei oder ähnliches zu hören?
Drinnen rührte sich nichts.
Die Jalousien waren noch immer heruntergelassen. Nur schmale Streifen am unteren Ende blieben frei. Charlaine spähte durch eine Ritze. Im Wohnzimmer stand eine limonengrüne Couch. Der Bezug so verschlissen, dass es fast aussah, als müsse er sich jeden Augenblick unter ihren Blicken in seine Einzelteile auflösen. In der Ecke erkannte sie einen kastanienbraunen Fernsehsessel aus Kunstleder. Der Fernseher schien neu zu sein. An den Wänden hingen alte Bilder von Clowns. Auf dem Klavier standen Unmengen von Schwarz-Weiß-Fotos. Eines davon zeigte eine Hochzeitsgesellschaft. Freddys Eltern, mutmaßte Charlaine. Daneben stand ein Bild des Bräutigams. Erwirkte geradezu tragisch attraktiv in seiner Uniform. Ein weiteres Foto zeigte denselben Mann mit einem
Baby im Arm, ein breites Lächeln im
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