Kein böser Traum
Willard-Schüler. Jahrgang 1957.« Sie
versuchte ihn sich als kleinen Schuljungen vorzustellen. Irgendwie gelang es ihr nicht. Er wandte sich zum Gehen.
»Warten Sie«, sagte sie. »Was soll ich jetzt tun?«
»Holen Sie Ihre Kinder ab und bringen Sie sie nach Hause.«
»Und wo werden Sie sein?«
Crams Grinsen wurde breiter. »In der Nähe.« Im nächsten Moment war er verschwunden.
Grace wartete am Zaun. Allmählich trafen immer mehr Mütter ein, fanden sich in Gruppen zusammen, unterhielten sich. Grace verschränkte die Arme vor der Brust in dem Versuch, mit dieser abweisenden Körperhaltung alle Gesprächsversuche abzuwimmeln. Es gab Tage, da konnte sie an dem fröhlichen Geschnatter teilnehmen. Heute war kein solch ein Tag.
Ihr Handy klingelte. Sie hob es ans Ohr und meldete sich.
»Haben Sie die Zeichen der Zeit jetzt begriffen?«
Die Stimme war männlich und klang gedämpft. Grace fühlte, wie sie Gänsehaut bekam. »Hören Sie auf herumzuschnüffeln, hören Sie auf, Fragen zu stellen, hören Sie auf, das Foto herumzuzeigen. Wenn nicht, schnappen wir uns zuerst Emma.«
Klick.
Grace schrie nicht laut auf. Sie wollte nicht schreien. Sie steckte das Handy ein. Ihre Hände zitterten. Sie sah auf ihre Hände herab, als gehörten sie nicht zu ihr. Sie konnte nicht aufhören, zu zittern. Ihre Kinder würden gleich herauskommen. Sie vergrub die Hände tief in den Taschen und versuchte zu lächeln. Es gelang nicht. Sie biss sich auf die Unterlippe und hielt die Tränen in Schach.
»Hallo du, alles in Ordnung?«
Grace fuhr beim Klang der Stimme zusammen. Es war Cora.
»Was machst du hier?«, fragte Grace. Die Worte entfuhren ihr mit unbeabsichtigter Schärfe.
»Na, was glaubst du denn? Ich hole Vickie ab.«
»Dachte, sie ist bei ihrem Vater.«
Cora schien verwirrt. »Nur gestern Nacht. Er hat sie heute Morgen in die Schule gebracht. Du meine Güte, was ist denn mit dir los?«
»Kann nicht darüber reden.«
Cora wusste ganz offensichtlich nicht, was sie davon halten sollte. Die Schulglocke schrillte. Beide Frauen wandten sich ab. Grace war verunsichert. Sie wusste, dass Scott Duncan in Bezug auf Cora Unrecht hatte – mehr noch, sie wusste inzwischen, dass Scott Duncan ein Lügner war – und dennoch – einmal ausgesprochen, wollte das Misstrauen gegenüber ihrer Freundin sie nicht mehr loslassen. Es ließ sich nicht einfach ausknipsen wie eine lästige Lampe.
»Ich habe einfach nur Angst, okay?«
Cora nickte. Vickie tauchte als Erste auf. »Wenn du mich brauchst …«
»Danke.«
Cora ging ohne ein weiteres Wort. Grace wartete allein. Ihr Blick schweifte auf der Suche nach den vertrauten Gesichtern über den steten Strom von Schulkindern, der aus dem Tor drängte. Emma trat in die Sonne hinaus und hob die Hand über die Augen. Kaum hatte sie ihre Mutter entdeckt, verzog sich ihr Gesicht zu einem Lächeln. Sie winkte.
Grace unterdrückte einen erleichterten Aufschrei. Ihre Finger umklammerten den Maschendraht krampfhaft, um nicht zu ihrer Tochter zu laufen und sie überschwänglich in die Arme zu schließen.
Als Grace, Emma und Max nach Hause kamen, stand Cram bereits in der Veranda.
Emma sah die Mutter fragend an, doch bevor Grace etwas sagen konnte, lief Max den Gartenweg hinunter. Er hielt vor Cram
abrupt an, legte den Kopf in den Nacken und starrte in das Piratenlächeln.
»Hi«, sagte Max zu Cram.
»Hi.«
»Sie sind doch der, der die Riesen-Limo neulich gefahren hat, oder?«, fragte Max.
»Bin ich.«
»Is das cool? Die Riesenkiste zu fahren?«
»Sehr.«
»Ich bin Max.«
»Ich bin Cram.«
»Cooler Name.«
»Ja. Ja, isser.«
Max machte eine Faust und hielt sie hoch. Cram tat es ihm gleich und sie berührten sich mit den Fingerknöcheln in einem kumpelhaften Gruß. Grace und Emma kamen dazu.
»Cram ist ein Freund der Familie«, sagte Grace. »Er wird mir ein wenig helfen.«
Emma gefiel das nicht. »Helfen, wobei?« Sie richtete ihren angeekelten Blick auf Cram, was gleichermaßen verständlich wie unhöflich war, doch jetzt war kaum die rechte Zeit für Erziehungsmaßnahmen. »Wo ist Daddy?«
»Auf Geschäftsreise«, sagte Grace.
Emma sagte kein Wort mehr. Sie ging ins Haus und lief die Treppe hinauf.
Max sah blinzelnd zu Cram auf. »Kann ich was fragen?«
»Klar doch«, antwortete Cram.
»Nennen Sie alle Freunde Cram?«
»Ja.«
»Nur Cram?«
»Is nur ein Wort.« Er zwinkerte mit den Augenbrauen. »Wie Cher oder Fabio.«
»Wer?«
Cram kicherte.
»Und warum nennen
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