Kein böser Traum
die Sie so?«
»Warum sie mich Cram nennen?«
»Ja.«
»Wegen meiner Zähne.« Er machte den Mund weit auf. Als Grace den Mut fasste, hinzusehen, bot sich ihr ein Anblick, der wie das verrückte Werk eines durchgeknallten Zahnarztes wirkte. Die Zähne standen wie Kraut und Rüben dicht gedrängt und in Überzahl auf der rechten Gebisshälfte. Gegenüber dagegen taten sich leere Taschen aus entzündlichem Rosa dort auf, wo eigentlich Zähne hätten sein sollen. »›Cram‹ wie zu viel ›Kram oder Durcheinander‹, verstehst du?«, sagte er.
»Wow«, seufzte Max. »Das is so cool.«
»Willst du wissen, wie meine Zähne so geworden sind?«
Grace parierte sofort. »Nein, danke.«
Cram sah sie an. »Gut reagiert.«
Cram wie Kram. Sie warf noch einen Blick auf das missratene Gebiss. Frankenstein wäre vielleicht passender gewesen.
»Max, hast du Hausaufgaben auf?«
»Hm, ja, Mom.«
»Dann ab mit dir. Sofort!«
Max sah Cram an. »Ich verdufte«, sagte er. »Wir reden später weiter.«
Sie wiederholten den Gruß mit den Fingerknöcheln, dann stürmte Max mit der hemmungslosen Energie eines Sechsjährigen davon. Das Telefon klingelte. Grace warf einen Blick auf das Display. Es war Scott Duncan. Sie entschied sich, ihn dem Anrufbeantworter zu überlassen – ein Gespräch mit Cram war jetzt wichtiger. Sie gingen in die Küche. Am Tisch saßen zwei Männer. Grace blieb wie angewurzelt stehen. Keiner der beiden Fremden würdigte sie eines Blickes. Sie unterhielten sich im Flüsterton. Grace wollte etwas sagen, doch Cram machte ihr ein Zeichen, ihm ins Freie zu folgen.
»Wer sind die beiden?«
»Sie arbeiten für mich.«
»Und was, bitte schön, arbeiten sie?«
»Machen Sie sich deswegen keinen Kopf.«
Natürlich machte sie sich Gedanken, doch in diesem Moment gab es Dringenderes. »Der Kerl hat mich angerufen«, sagte sie. »Auf meinem Handy.« Sie berichtete, was die Stimme gesagt hatte. Cram verzog keine Miene. Als sie fertig war, zog er eine Zigarette heraus.
»Haben Sie was dagegen, wenn ich rauche?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich rauche nicht im Haus.«
Grace sah sich um. »Sind wir deshalb hier draußen?«
Cram antwortete nicht. Er zündete die Zigarette an, inhalierte tief und ließ den Rauch durch beide Nasenlöcher entweichen. Grace sah zum rückwärtigen Garten der Nachbarn hinüber. Niemand war zu sehen. Ein Hund bellte. Das Motorengeräusch eines Rasenmähers dröhnte irgendwo wie der Rotor eines Helikopters.
Grace sah ihn an. »Andere Menschen zu bedrohen, ist Ihnen nicht fremd, stimmt’s?«
»Richtig.«
»Also, wenn ich tue, was er sagt – wenn ich aufhöre – glauben Sie, er lässt uns in Ruhe?«
»Vermutlich.« Er zog so heftig und hastig an seiner Zigarette, dass es aussah, als rauche er Gras. »Aber die eigentliche Frage ist doch, warum die wollen, dass Sie aufhören.«
»Und das heißt?«
»Das heißt, dass Sie der Wahrheit nahe gekommen sind. Offenbar haben Sie da einen Nerv getroffen.«
»Kann mir nicht vorstellen inwiefern.«
»Mr. Vespa hat angerufen. Er möchte heute Abend mit Ihnen sprechen.«
»Worüber denn?«
Cram zuckte mit den Schultern.
Sie wandte sich ab.
»Bereit für noch mehr schlechte Nachrichten?«, fragte Cram.
Sie drehte sich zu ihm um.
»Ihr Computerraum. Dieses Zimmer ganz hinten.«
»Was ist damit?«
»Ist verwanzt. Eine akustische Wanze, eine sogar mit Kamera.«
»Eine Kamera?« Sie war fassungslos. »In meinem Haus?«
»Ja. Eine versteckte Kamera. In einem Buch im Regal. Ziemlich leicht zu finden, vorausgesetzt man sucht danach. Das Zeug kriegen Sie in jedem Laden für Sicherheitseinrichtungen. Im Internet werden diese Dinger ebenfalls angeboten. Man versteckt sie in einer Uhr, einem Rauchmelder oder so.«
Grace versuchte, das zu verdauen. »Sie meinen, jemand überwacht uns?«
»So isses.«
»Wer?«
»Keine Ahnung. Glaube nicht, dass die Polizei dahinter steckt. Ist ein bisschen zu amateurhaft, das Ganze. Meine Jungs haben das Haus auf den Kopf gestellt. Bis jetzt haben sie nicht mehr gefunden.«
»Wie lange …« Sie versuchte zu begreifen, was das alles zu bedeuten hatte. »Wie lange … ich meine, seit wann sind die Wanze und die Kamera denn da?«
»Das lässt sich nicht feststellen. Jedenfalls bin ich aus diesem Grund mit Ihnen ins Freie gegangen. Damit wir offen reden können. Ich weiß, Sie haben in letzter Zeit ’ne Menge wegstecken müssen. Halten Sie noch mehr aus?«
Sie nickte, auch wenn ihr schon der Schädel
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