Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
Vom Netzwerk:
So bekam der Zwischenfall etwas Heroisches und konnte vom PR-Apparat der Polizei ausgeschlachtet werden. Es gab nichts Besseres, als wenn auf einen braven Cop – auch wenn es nur eine Anfängerin war – geschossen wurde. Auf diese Weise konnte man der Bevölkerung wieder einmal vor Augen halten, was gut und edel an ihrer Polizei war und welche Gefahren der Dienst eines Polizisten barg.
    Die Alternative dagegen, die Bekanntgabe, dass Brasher versehentlich selbst auf sich geschossen hatte – oder etwas noch Schlimmeres –, wäre für die Polizei äußerst peinlich gewesen. Eine Panne mehr in einer langen Reihe von PR-Fiaskos.
    Natürlich war es zunächst Stokes, der der Auslegung des Vorfalls im Weg stand, die Gilmore – und somit Irving und die Polizeiführung – haben wollten, und dann Bosch. Stokes war kein Problem. Bei einem verurteilten Straftäter, dem wegen eines Schusses auf einen Cop eine Gefängnisstrafe drohte, wäre alles, was er sagte, eigennützig und irrelevant. Bosch dagegen war ein Augenzeuge mit einer Dienstmarke. Gilmore musste seine Schilderung des Tathergangs abändern oder, wenn ihm das nicht gelang, ihre Glaubwürdigkeit in Frage stellen. Der erste wunde Punkt war Boschs körperliche Verfassung – konnte er angesichts dessen, was ihm in die Augen gesprüht worden war, tatsächlich gesehen haben, was er beobachtet zu haben behauptete? Der zweite Schritt wäre, Bosch einen möglichen Interessenkonflikt zu unterstellen. Könnte Bosch sich, um Stokes in einem Mordfall nicht als Zeugen zu verlieren, zu der Falschaussage hinreißen lassen, Stokes habe nicht auf einen Cop geschossen?
    Für Bosch war das geradezu grotesk. Aber in all den Jahren bei der Polizei hatte er Kollegen schon Schlimmeres zustoßen sehen, wenn sie sich der Maschinerie in den Weg stellten, die das Bild von der Polizei entwarf, das der Öffentlichkeit präsentiert wurde.
    »Moment mal, Sie …«, Bosch konnte sich gerade noch beherrschen, einem ranghöheren Polizisten ein Schimpfwort an den Kopf zu werfen. »Wenn Sie damit sagen wollen, ich würde die Unwahrheit über den Schuss auf Julia – ich meine Officer Brasher – sagen, damit ich Stokes nicht für meinen Fall verliere, dann sind Sie – mit Verlaub – nicht mehr ganz bei Trost.«
    »Detective Bosch, ich gehe hier jeder Möglichkeit nach. Es ist meine Aufgabe, das zu tun.«
    »Meinetwegen, aber dann tun Sie das bitte ohne mich.«
    Bosch stand auf und ging zur Tür.
    »Wohin wollen Sie?«
    »Für mich ist der Fall erledigt.«
    Er blickte auf den Spiegel und öffnete die Tür, dann sah er sich nach Gilmore um.
    »Nur damit Sie’s wissen, Lieutenant. Ihre Theorie ist für’n Arsch. Stokes bringt nichts für meinen Fall. Fehlanzeige. Dass Julia niedergeschossen wurde, war total umsonst.«
    »Aber klar geworden ist Ihnen das erst, nachdem Sie ihn hierher gebracht haben, oder nicht?«
    Bosch sah ihn an und schüttelte dann langsam den Kopf.
    »Einen schönen Tag noch, Lieutenant.«
    Er drehte sich um, um durch die Tür zu gehen, und stieß fast mit Irving zusammen. Der Deputy Chief stand kerzengerade auf dem Flur.
    »Gehen Sie noch mal kurz da rein, Detective«, sagte er ruhig. »Bitte.«
    Bosch kehrte in den Raum zurück. Irving folgte ihm.
    »Lieutenant, machen Sie uns hier bitte Platz«, sagte der Deputy Chief. »Und ich möchte auch, dass alle das Beobachtungszimmer verlassen.«
    Er zeigte auf den Spiegel.
    »Ja, Sir.« Gilmore verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
    »Nehmen Sie wieder Platz«, sagte Irving.
    Bosch kehrte zu dem Stuhl zurück, der dem Spiegel gegenüberstand. Irving blieb stehen. Nach kurzem begann auch er, auf und ab zu gehen. Er bewegte sich vor dem Spiegel hin und her, sodass Bosch einem doppelten Bild folgen musste.
    »Wir werden den Schuss als Unfall bezeichnen«, sagte Irving, ohne Bosch anzusehen. »Officer Brasher nahm den Verdächtigen fest, und als sie ihre Waffe wegsteckte, löste sich versehentlich ein Schuss.«
    »Ist es das, was sie gesagt hat?«, fragte Bosch.
    Einen Moment machte Irving ein verständnisloses Gesicht, dann schüttelte er den Kopf.
    »Soviel ich weiß, hat sie nur mit Ihnen gesprochen, und Sie haben ausgesagt, sie hätte sich nicht näher zu dem Schuss geäußert.«
    Bosch nickte.
    »Ist der Fall damit erledigt?«
    »Ich wüsste nicht, was es da noch weiter zu klären gäbe.«
    Bosch dachte an das Foto des Hais auf Julias Kaminsims. An das, was er nach so kurzer Zeit über sie wusste. Wieder lief das,

Weitere Kostenlose Bücher