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Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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was er in der Tiefgarage gesehen hatte, in Zeitlupe vor seinem geistigen Auge ab. Und irgendwie ergab es keinen Sinn.
    »Wenn wir nicht einmal unter uns ehrlich sein können, wie können wir dann den Leuten da draußen jemals die Wahrheit sagen?«
    Irving räusperte sich.
    »Ich werde mich auf keine Diskussionen mit Ihnen einlassen, Detective. Die Entscheidung ist getroffen.«
    »Von Ihnen.«
    »Ja, von mir.«
    »Was ist mit Stokes?«
    »Das bleibt der Staatsanwaltschaft überlassen. Er könnte nach dem Schwerverbrechen/Mord-Gesetz angeklagt werden. Sein Fluchtversuch hat letztlich zu dem Schuss geführt. Das wird dann eine verfahrenstechnische Frage. Wenn entschieden wird, dass er sich bereits in Haft befand, als der tödliche Schuss fiel, dann könnte er …«
    »Moment mal, Moment mal.« Bosch kam von seinem Stuhl hoch. »Schwerverbrechen/ Mord -Gesetz? Sagten Sie, der tödliche Schuss?«
    Irving drehte sich zu ihm um.
    »Hat es Ihnen Lieutenant Gilmore nicht gesagt?«
    Bosch sank auf den Stuhl zurück und stützte die Ellbogen auf den Tisch. Er hielt die Hände vors Gesicht.
    »Die Kugel traf einen Knochen in ihrer Schulter und wurde dadurch anscheinend abgelenkt. Sie drang durch ihre Brust. Durchbohrte ihr Herz. Bei der Einlieferung ins Krankenhaus war sie bereits tot.«
    Bosch senkte sein Gesicht, sodass seine Hände jetzt auf dem Scheitel seines Kopfs waren. Er spürte, wie ihm schwindlig wurde, und er dachte, er würde vom Stuhl fallen. Er versuchte, tief durchzuatmen, bis es vorüberging. Nach einer Weile sprach Irving in das Dunkel seines Bewusstseins.
    »Detective, in diesem Department gibt es ein paar Officer, die ›Scheißemagneten‹ genannt werden. Sie haben diese Bezeichnung sicher schon mal gehört. Ich persönlich finde diesen Ausdruck geschmacklos. Aber er bedeutet, dass alles immer diesen speziellen Officers zu passieren scheint. Schlimme Dinge. Immer wieder. Ständig.«
    Im Dunkeln wartete Bosch auf das, was jetzt, wusste er, kommen würde.
    »Bedauerlicherweise, Detective Bosch, sind Sie einer dieser Officers.«
    Ohne sich dessen bewusst zu sein, nickte Bosch. Er dachte an den Moment, als der Sanitäter Julia die Atemmaske auf den Mund gedrückt und sie zu sprechen begonnen hatte.
    Lass sie nicht –
    Was hatte sie damit gemeint? Was sollte er nicht zulassen? Er fing an, Zusammenhänge her zustellen und zu begreifen, was sie hatte sagen wollen.
    »Detective.« Irvings energische Stimme drang durch Boschs Gedanken. »Ich habe bei all diesen Fällen im Lauf der Jahre immense Geduld gezeigt. Aber langsam reicht es mir. Und das trifft auch auf die Polizei als Ganzes zu. Ich hätte gern, dass Sie sich über Ihre Pensionierung Gedanken machen. Bald, Detective. Bald.«
    Bosch behielt den Kopf unten und antwortete nicht. Kurz darauf hörte er, wie die Tür auf- und wieder zuging.

34
    Auf den Wunsch von Julia Brashers Familie, die sie nach dem Ritus ihres Glaubens bestatten wollte, fand ihre Beerdigung am späten Vormittag des nächsten Tages im Hollywood Memorial Park statt. Weil sie im Dienst ums Leben gekommen war, wurde ihr ein volles Polizeibegräbnis zuteil, einschließlich Motorradeskorte, Ehrengarde, 21 Salutschüssen und einem umfangreichen Erscheinen der Polizeiführung an ihrem Grab. Sogar die Flugstaffel der Polizei flog über den Friedhof, fünf Hubschrauber in »Ein-Mann-weniger«-Formation.
    Weil das Begräbnis jedoch weniger als vierundzwanzig Stunden nach ihrem Tod stattfand, war es nicht gut besucht. Todesfälle im Dienst zogen grundsätzlich zumindest Pro-forma-Abordnungen von Police Departments aus dem gesamten Südwesten Amerikas nach sich. Nicht so im Fall Julia Brashers. Infolge des kurzfristig angesagten Beerdigungstermins und der Umstände ihres Todes war es eine relativ kleine Angelegenheit – für Polizeibegräbnisverhältnisse. Ein Tod in einem Feuergefecht hätte den kleinen Friedhof von Grabstein zu Grabstein mit den Insignien der blauen Religion gefüllt. Eine Polizistin, die sich beim Wegstecken ihrer Waffe selbst tötete, gab dagegen, was Nimbus und Gefahren des Polizeidiensts anging, nicht viel her. Das Begräbnis war einfach kein Knüller.
    Bosch verfolgte es vom Rand der Trauergemeinde. Sein Kopf schmerzte von der vergangenen Nacht, in der er Schuldgefühle und Trauer im Alkohol zu ertränken versucht hatte. Knochen waren aus dem Boden gekommen, und jetzt waren aus Gründen, die für ihn keinen rechten Sinn ergaben, zwei Menschen tot. Seine Augen waren heftig

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