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Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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sind hier beim LAPD. Was trägt es mir also hier ein, eine Beförderung?«
    Das war der erste offensive Zug, den Bosch gemacht hatte. Es war eine Warnung an Gilmore, dass er besser eine andere Richtung einschlug. Es war eine versteckte Anspielung auf verschiedene allgemein bekannte und doch wieder nicht so bekannte Affären zwischen hohen Polizeibeamten und Angehörigen der unteren Dienstgrade. Es war ein offenes Geheimnis, dass die Polizeigewerkschaft, welche die unteren Dienstgrade bis zum Sergeant vertrat, nur darauf wartete, dass wegen der innerpolizeilichen Bestimmungen, so genannte sexuelle Belästigung betreffend, disziplinarische Maßnahmen ergriffen wurden.
    »Ihre klugen Bemerkungen können Sie sich sparen«, sagte Gilmore. »Ich versuche hier, eine Untersuchung durchzuführen.«
    Dem ließ er einen langen Trommelwirbel folgen, in dessen Verlauf er auf die wenigen Notizen blickte, die er sich auf seinem Block gemacht hatte. Was Gilmore hier machte, war in Boschs Augen nichts anderes als eine umgekehrte Untersuchung. Man beginnt mit einer Schlussfolgerung und trägt dann nur die Fakten zusammen, die sie stützen.
    »Wie geht es Ihren Augen?«, fragte Gilmore schließlich, ohne aufzublicken.
    »Eins brennt immer noch höllisch. Sie fühlen sich an wie pochierte Eier.«
    »Sie sagen also, Stokes hat Ihnen mit einem Reinigungsspray ins Gesicht gesprüht.«
    »Richtig.«
    »Und deswegen konnten Sie vorübergehend nichts mehr sehen.«
    »Richtig.«
    Jetzt stand Gilmore auf und begann, auf dem engen Raum hinter seinem Stuhl hin und her zu gehen.
    »Wie viel Zeit verging zwischen dem Moment, als Sie nichts mehr sehen konnten, und dem Zeitpunkt, als Sie in der dunklen Tiefgarage angeblich sahen, wie sie selbst auf sich schoss?«
    Bosch dachte kurz nach.
    »Also, ich habe mir mit einem Wasserschlauch die Augen ausgewaschen und dann die Verfolgung aufgenommen. Ich würde sagen, nicht mehr als fünf Minuten. Aber viel weniger auch nicht.«
    »Dann haben Sie sich also in fünf Minuten vom Blinden zum Adlerauge – das alles sehen konnte – gemausert.«
    »So würde ich es zwar nicht nennen, aber das mit der Zeit haben Sie richtig hingekriegt.«
    »Na, dann habe ich ja wenigstens etwas richtig hingekriegt. Danke.«
    »Keine Ursache, Lieutenant.«
    »Sie sagen also, Sie haben das Handgemenge um den Besitz von Officer Brashers Waffe nicht gesehen, bevor der Schuss fiel. Ist das richtig?«
    Er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt, den Bleistift wie eine Zigarette zwischen zwei Fingern. Bosch beugte sich über den Tisch. Er verstand Gilmores Spiel mit Worten.
    »Was sollen diese Wortklaubereien, Lieutenant? Es gab kein Handgemenge. Ich habe kein Handgemenge gesehen, weil es kein Handgemenge gab. Wenn es zu einem Handgemenge gekommen wäre, hätte ich es gesehen. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
    Gilmore antwortete nicht. Er ging weiter auf und ab.
    »Warum untersuchen Sie Stokes nicht einfach auf Schmauchspuren?«, fuhr Bosch fort. »Seine Hände, seinen Overall. Sie werden nichts finden. Dann hätte das hier rasch ein Ende.«
    Gilmore kehrte zu seinem Stuhl zurück und stützte sich mit den Händen darauf. Er sah Bosch an und schüttelte den Kopf.
    »Wissen Sie, Detective, ich täte nichts lieber als das. Das Erste, was wir in so einem Fall normalerweise tun, ist, nach Schmauchspuren zu suchen. Das Problem ist nur, dass Sie uns da einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Sie haben Stokes vom Tatort entfernt und hierher gebracht. Die Beweiskette wurde durchbrochen, verstehen Sie? Bloß weil Sie ihn unbedingt vom Tatort fortschaffen mussten, hätte er sich waschen, andere Sachen anziehen können, ich weiß nicht, was sonst noch.«
    Darauf war Bosch vorbereitet.
    »Ich dachte, dass am Tatort seine Sicherheit nicht gewährleistet war. Das wird Ihnen auch mein Partner bestätigen. Und Stokes. Außerdem befand er sich keinen einzigen Augenblick nicht unter meiner Aufsicht und Kontrolle, bis Sie hier reingeplatzt sind.«
    »Das ändert nichts an der Tatsache, dass Sie dachten, Ihr Fall wäre wichtiger, als dass wir die Fakten über einen Schuss auf einen Officer des LAPD sammeln könnten, oder habe ich da etwa nicht Recht?«
    Darauf wusste Bosch keine Antwort. Aber ihm wurde jetzt vollends klar, was Gilmore vorhatte. Es kam ihm und der Polizei als Ganzes darauf an, zu dem Schluss gelangen und bekannt geben zu können, dass Brasher im Zuge eines Kampfes um den Besitz ihrer Waffe angeschossen worden war.

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