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Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Geständnis zu Ende gesehen hatte, klingelte das Telefon. Er griff nach der Fernbedienung und stellte den Ton an seinem Fernseher ab, bevor er abnahm. Es war Lieutenant Billets.
    »Ich dachte, Sie wollten mich anrufen.«
    Bosch nahm einen Schluck Bier aus der Flasche, die er in der Hand hielt, und stellte sie auf den Tisch neben seinem Fernsehsessel.
    »Entschuldigung, das habe ich vergessen.«
    »Haben Sie noch immer kein gutes Gefühl bei der Sache?«
    »Sogar noch weniger als zuvor.«
    »Und warum, Harry? Ich glaube, ich kenne keinen Detective, der bei einem Geständnis schon mal so viel Bedenken hatte.«
    »Das hat verschiedene Gründe. Irgendetwas ist faul an der Sache.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich meine, ich gelange immer mehr zu der Überzeugung, dass er es vielleicht gar nicht war. Dass er unter Umständen etwas vortäuscht, aber ich weiß nicht, was.«
    Billets schwieg eine Weile. Wahrscheinlich wusste sie nicht, wie sie darauf reagieren sollte.
    »Wie sieht Jerry das Ganze?«, fragte sie schließlich.
    »Ich weiß nicht, wie Jerry die Sache sieht. Er ist froh, den Fall vom Tisch zu haben.«
    »Das sind wir alle, Harry. Aber nicht, wenn er es nicht war. Haben Sie irgendwas Konkretes? Etwas, das Ihre Zweifel stützt?«
    Bosch fasste behutsam an seine Wange. Die Schwellung war zurückgegangen, aber die Wunde selbst schmerzte, wenn man sie berührte. Er musste sie einfach immer wieder berühren.
    »Ich war heute Abend am Tatort. Mit einem Dummy von der Spurensicherung. Dreißig Kilo. Ich habe ihn zur Fundstelle raufgekriegt, aber es war eine ziemliche Plackerei.«
    »Na schön, dann haben Sie also den Nachweis erbracht, dass es möglich ist. Wo soll da das Problem sein?«
    »Ich habe einen Dummy den Hügel raufgeschleppt. Aber Delacroix hat die Leiche seines toten Sohnes raufgeschafft. Ich war nüchtern; Delacroix sagt, er war betrunken. Ich war vorher schon mal da oben gewesen; er nicht. Ich glaube nicht, dass er das wirklich geschafft hat. Zumindest nicht allein.«
    »Glauben Sie, jemand hat ihm geholfen? Die Tochter vielleicht?«
    »Vielleicht hat ihm jemand geholfen, vielleicht war er auch nie dort oben. Ich weiß es nicht. Wir haben heute Abend mit der Tochter gesprochen, und sie will den Vater nicht belasten. Sie wird kein Wort sagen. Da fängt man ganz automatisch an, sich zu fragen, ob es vielleicht doch die beiden zusammen waren. Das heißt, nein. Wenn sie dabei war, warum sollte sie uns dann anrufen und uns helfen, die Knochen zu identifizieren? Das ergibt keinen Sinn.«
    Billets antwortete nicht. Bosch sah auf die Uhr und stellte fest, dass es elf Uhr war. Er wollte sich die Nachrichten ansehen. Er machte mit der Fernbedienung den Videorecorder aus und stellte den Fernseher auf Channel Four.
    »Haben Sie die Nachrichten an?«, fragte er Billets.
    »Ja. Channel Four.«
    Es kam als erste Meldung – Vater tötet Sohn und begräbt dann die Leiche, um mehr als zwanzig Jahre danach wegen eines Hundes überführt zu werden. Eine typische L. A.-Story. Bosch sah genau wie Billets am anderen Ende der Leitung schweigend zu. Der Bericht von Judy Surtain enthielt keine Ungenauigkeiten, die Bosch aufgefallen wären. Das überraschte ihn.
    »Nicht übel«, sagte er, als der Bericht zu Ende war. »Endlich stellen sie es mal richtig dar.«
    Als der Moderator zum nächsten Bericht überleitete, stellte Bosch den Ton wieder ab. Eine Weile sah er noch schweigend auf den Bildschirm. Im nächsten Bericht ging es um die Knochen, die in den La Brea Tar Pits gefunden worden waren. Man sah Golliher auf einer Pressekonferenz vor einem Wald aus Mikrofonen stehen.
    »Jetzt lassen Sie sich nicht jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen, Harry«, sagte Billets. »Was kommt Ihnen sonst noch komisch vor? Sie müssen doch mehr haben als nur so ein vages Gefühl im Bauch, dass er es nicht gewesen sein kann. Und was die Tochter angeht, stört es mich nicht, dass sie den Anruf gemacht hat, der zu der Identifizierung geführt hat. Sie hat es in den Nachrichten gesehen, richtig? Den Bericht über Trent. Vielleicht dachte sie, sie könnte es Trent anhängen. Nach zwanzig Jahren ständiger Angst sah sie plötzlich eine Möglichkeit, es jemand anders anzuhängen.«
    Obwohl er wusste, dass sie ihn nicht sehen konnte, schüttelte Bosch den Kopf. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Sheila Delacroix bei der Polizei angerufen hätte, wenn sie etwas mit dem Tod ihres Bruders zu tun gehabt hätte.
    »Ich weiß nicht«, sagte er.

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