Kein Engel so rein
blickte über seine Schulter ins Innere des Wohnwagens zurück. Es war schon nach Mitternacht, und er war müde. Aber er beschloss, zu bleiben und nach dem zu suchen, was sie gesucht hatte.
Er spürte, wie etwas seinen Unterschenkel streifte, und sah eine schwarze Katze, als er nach unten blickte. Behutsam schob er sie mit dem Bein beiseite. Er hatte nicht viel für Katzen übrig.
Der Kater kam zurück und bestand darauf, seinen Kopf noch einmal an Boschs Bein zu reiben. Bosch trat in den Wohnwagen zurück, was zur Folge hatte, dass sich die Katze vorsichtshalber ein Stück zurückzog.
»Warte hier«, sagte Bosch. »Ich hab Futter im Auto.«
43
In dem Gerichtssaal, in dem die Anklageerhebungen stattfanden, herrschte immer Betrieb. Als Bosch am Freitagmorgen den Saal zehn Minuten vor neun betrat, war noch kein Richter auf der Bank zu sehen, aber es wimmelte von Anwälten, die sich untereinander berieten und herumliefen wie Ameisen auf einem zerstörten Bau. Man musste schon ein alter Hase sein, um zu wissen und zu verstehen, was im Anklageerhebungsgericht gerade vor sich ging.
Zuerst hielt Bosch auf den Sitzplätzen für die Öffentlichkeit Ausschau nach Sheila Delacroix, konnte sie aber nirgendwo sehen. Als Nächstes blickte er sich nach seinem Partner und Portugal von der Staatsanwaltschaft um, aber auch sie waren nicht im Saal. Er bemerkte, dass neben dem Schreibtisch des Gerichtsdieners zwei Kameramänner ihre Ausrüstung aufbauten. Von dort hatten sie einen unverstellten Blick auf den verglasten Kasten für die Angeklagten.
Bosch ging nach vorn und drückte die Tür der Absperrung auf. Er nahm seine Dienstmarke heraus, legte sie in seine Handfläche und zeigte sie dem Gerichtsdiener, der gerade einen Computerausdruck mit den Anklageerhebungen dieses Tages studierte.
»Haben Sie da einen Samuel Delacroix drauf?«, fragte Bosch.
»Mittwoch oder Donnerstag verhaftet?«
»Donnerstag. Gestern.«
Der Gerichtsdiener schlug die oberste Seite um und fuhr mit dem Finger eine Liste hinunter. Bei Delacroix’ Namen hielt er an.
»Hier ist er.«
»Wann ist er dran?«
»Wir müssen erst noch ein paar vom Mittwoch erledigen. Wenn wir zum Donnerstag kommen, hängt es davon ab, wen er als Anwalt hat. Privat oder Pflicht?«
»Ich denke, er wird einen Pflichtverteidiger haben.«
»Die kommen der Reihe nach dran. Sie müssen also mindestens mit einer Stunde rechnen – wenn der Richter um neun anfängt. Soviel ich gehört habe, war er aber bis vor kurzem noch gar nicht hier.«
»Danke.«
Bosch ging zum Tisch der Anklage. Dabei musste er an zwei Gruppen von Strafverteidigern vorbei, die sich Kriegsgeschichten erzählten, während sie darauf warteten, dass der Richter in den Saal kam. Am ersten Platz des Tisches saß eine Frau, die Bosch nicht kannte. Sie musste die Staatsanwältin sein, die in den Gerichtssaal abbestellt war. Da die meisten Fälle geringfügig und deshalb noch keinem bestimmten Ankläger zugeteilt waren, würde sie achtzig Prozent der Anklageerhebungen abwickeln. Vor ihr lag ein zwanzig Zentimeter hoher Packen mit Akten – die Fälle dieses Morgens. Auch ihr zeigte Bosch seine Dienstmarke.
»Wissen Sie, ob George Portugal für die Delacroix-Anklageerhebung herkommt? Es ist ein Donnerstag.«
»Ja, er kommt«, sagte sie, ohne aufzublicken. »Ich hab gerade mit ihm gesprochen.«
Erst jetzt blickte sie auf, und Bosch sah ihren Blick zu dem Kratzer auf seiner Wange wandern. Er hatte am Morgen vor dem Duschen das Klammerpflaster abgenommen, aber die Wunde war noch immer ziemlich auffallend.
»Das dürfte allerdings noch eine Stunde oder so dauern. Delacroix hat einen Pflichtverteidiger. Das sieht aus, als täte es weh.«
»Nur, wenn ich lächle. Dürfte ich mal ihr Handy benutzen?«
»Bis der Richter kommt.«
Bosch nahm das Handy und rief in der Staatsanwaltschaft an, die sich drei Stockwerke über ihnen befand. Er verlangte nach Portugal und wurde durchgestellt.
»Hallo, hier Bosch. Ist es in Ordnung, wenn ich hoch komme? Wir müssen reden.«
»Ich bin so lange hier, bis ich zu den Anklageerhebungen runter gerufen werde.«
»Dann bis in fünf Minuten.«
Auf dem Weg aus dem Saal sagte Bosch dem Gerichtsdiener, falls sich ein Detective Edgar bei ihm meldete, sollte er ihn in die Staatsanwaltschaft hochschicken. Der Gerichtsdiener sagte, kein Problem.
Der Flur vor dem Gerichtssaal wimmelte von Anwälten und Bürgern, die alle etwas im Gericht zu erledigen hatten. Jeder schien an einem Handy
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