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Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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suchen.«
    Sie schloss die Augen wieder.
    »Dann, später am Abend«, fuhr Edgar fort, »als Sie geschlafen haben, ist er aus dem Haus geschlichen und in die Hügel hochgefahren, um die Leiche loszuwerden.«
    Sheila begann, den Kopf zu schütteln, als versuchte sie, die Wörter abzuwehren.
    »Nein, nein, er …«
    »Haben Sie jemals gesehen, wie Ihr Vater Arthur geschlagen hat?«, fragte Bosch.
    Sheila, die wieder aus ihrem Trancezustand zu kommen schien, sah ihn an.
    »Nein, nie.«
    »Sind Sie da ganz sicher?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Höchstens einen Klaps auf den Po, als er noch klein war und was angestellt hatte. Mehr nicht.«
    Bosch sah Edgar an und dann wieder die Frau, die sich erneut vorbeugte und auf den Boden zwischen ihren Füßen starrte.
    »Sheila, mir ist sehr wohl bewusst, dass wir hier über Ihren Vater reden. Aber wir reden auch über Ihren Bruder. Er hat nicht gerade viel von seinem Leben gehabt, oder?«
    Er wartete, und nach einer Weile schüttelte sie, ohne aufzublicken, den Kopf.
    »Wir haben das Geständnis Ihres Vaters, und wir haben Beweise. Arthurs Knochen erzählen uns eine Geschichte, Sheila. Es gibt Verletzungen. Eine ganze Menge. Aus seinem ganzen Leben.«
    Sie nickte.
    »Was wir brauchen, ist eine andere Stimme. Jemand, der uns sagen kann, wie es für Arthur gewesen ist, in diesem Haus groß zu werden.«
    »Zu versuchen, groß zu werden«, fügte Edgar hinzu.
    Sheila richtete sich auf und verrieb mit den Handflächen die Tränen auf ihren Wangen.
    »Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass ich ihn meinen Bruder nie habe schlagen sehen. Kein einziges Mal.«
    Sie wischte mehr Tränen weg. Ihr Gesicht wurde glänzend und verzerrt.
    »Ich kann es einfach nicht glauben«, sagte sie. »Alles, was ich getan habe … alles, was ich wissen wollte, war, ob das da oben Arthur war. Und jetzt … ich hätte nie bei Ihnen anrufen sollen. Ich hätte …«
    Sie sprach nicht zu Ende. In dem Bemühen, die Tränen zurückzuhalten, kniff sie sich in den Nasenrücken.
    »Sheila«, sagte Edgar. »Wenn es Ihr Vater tatsächlich nicht war, warum sollte er uns dann erzählen, dass er es war?«
    Sie schüttelte schroff den Kopf und schien in Wut zu geraten.
    »Warum sollte er uns sonst auftragen, Ihnen auszurichten, es täte ihm Leid?«
    »Keine Ahnung. Er ist krank. Er trinkt. Vielleicht sehnt er sich nach Aufmerksamkeit, ich weiß es nicht. Er war Schauspieler, müssen Sie wissen.«
    Bosch zog die Schachtel mit den Fotos über den Couchtisch und ging mit dem Finger eine der Reihen durch. Er sah ein Foto von Arthur, auf dem er vielleicht fünf Jahre alt war. Er zog es heraus und betrachtete es. Auf dem Bild war kein Hinweis zu erkennen, dass das Schicksal des Jungen bereits besiegelt war, dass die Knochen unter der Haut bereits beschädigt waren.
    Er steckte das Foto an seinen Platz zurück und blickte zu der Frau auf. Sie sahen sich gegenseitig an.
    »Sheila, werden Sie uns helfen?«
    Sie sah von ihm weg.
    »Das kann ich nicht.«

40
    Bosch hielt neben dem Abflusskanal in der Wonderland Avenue und stellte rasch den Motor ab. Er wollte keine Aufmerksamkeit erregen. In seinem Slickback fiel er zwar zwangsläufig auf, aber er hoffte, es wäre bereits so spät, dass überall die Vorhänge zugezogen wären.
    Bosch war allein, sein Partner war bereits nach Hause gefahren. Er drückte auf die Kofferraumentriegelung. Dann beugte er sich zum Seitenfenster hinüber und spähte den in Dunkelheit gehüllten Hügel hinauf. Er konnte erkennen, dass die Special-Services-Einheit bereits wieder abgezogen war und die Rampen und Treppen, die zum Tatort hinaufgeführt hatten, abgebaut hatte. So wollte Bosch es haben. Er wollte es möglichst genau so haben, wie es für Samuel Delacroix gewesen war, als er mitten in der Nacht die Leiche seines Sohnes den Hügel hinaufgeschleppt hatte.
    Die Taschenlampe ging an und erschreckte Bosch. Er hatte nicht gemerkt, dass er schon die ganze Zeit den Daumen auf dem Knopf gehabt hatte. Er machte sie wieder aus und blickte auf die schlafenden Häuser am Wendekreis hinaus. Es war Boschs Instinkt gewesen, der ihn veranlasst hatte, an den Ort zurückzukehren, an dem alles begonnen hatte. Er hatte jemanden für einen über zwanzig Jahre zurückliegenden Mord ins Gefängnis eingeliefert, aber er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Irgendetwas stimmte nicht, und hier würde er beginnen.
    Er schaltete die Innenbeleuchtung aus. Er öffnete leise die Tür und stieg mit der Taschenlampe

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