Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
Vom Netzwerk:
überrascht die Augenbrauen hoch. Noch immer nichts.
    »Wieso? Wenn sie diese Informationen nicht von dir hat, warum sollte dann …«
    Sie brach mitten im Satz ab, und jetzt konnte Bosch sehen, wie es ihr dämmerte. Er sah die Enttäuschung in ihre Augen treten.
    »O Harry …«
    Er versuchte, sich halbwegs elegant aus der Affäre zu ziehen.
    »Ach was. Mach dir deswegen mal keine Gedanken. Das kriege ich schon geregelt.«
    »Ich war es nicht, Harry. Ist das der Grund, warum du hier bist? Um zu sehen, ob ich die undichte Stelle oder die Informationsquelle bin oder wie ihr das nennt?«
    Abrupt stellte sie das Weinglas auf den Couchtisch. Rotwein schwappte über den Rand und auf den Tisch. Sie machte keine Anstalten, ihn wegzuwischen. Bosch wusste, es hatte keinen Sinn, der Kollision auszuweichen. Er hatte Scheiße gebaut.
    »Hör zu, nur vier Leute wussten –«
    »Und eine von ihnen war ich. Deshalb dachtest du dir, du kommst mal kurz, gewissermaßen als verdeckter Ermittler, hier vorbei und versuchst rauszufinden, ob ich es war.«
    Sie wartete auf eine Antwort. Bosch blieb schließlich nichts anderes übrig, als zu nicken.
    »Wie bereits gesagt, ich war es nicht. Außerdem finde ich, du solltest jetzt gehen.«
    Bosch nickte und stellte sein Glas ab. Er stand auf.
    »Es tut mir wirklich Leid. Das war blöd von mir. Ich dachte, die beste Möglichkeit, keinen falschen Ton reinzubringen, du weißt schon, zwischen dir und mir, wäre …«
    Er machte eine hilflose Handbewegung, als er zur Tür ging.
    »Wenn ich es auf die verdeckte Tour versuche«, fuhr er fort. »Ich wollte nur nicht alles kaputt machen, mehr nicht. Aber Klarheit wollte ich haben. Ich glaube, du hättest es an meiner Stelle genauso gemacht.«
    Er öffnete die Tür und blickte sich noch einmal um.
    »Es tut mir Leid, Julia. Danke für den Wein.«
    Er wandte sich zum Gehen.
    »Harry.«
    Er drehte sich um. Sie kam auf ihn zu und packte ihn mit beiden Händen am Revers seines Jacketts. Sie zog ihn langsam zu sich heran, und dann stieß sie ihn zurück, etwa so, als schüttelte sie einen Verdächtigen in Zeitlupe. Sie senkte den Blick auf seine Brust, als ihr Verstand zu arbeiten begann, und sie kam zu einer Entscheidung.
    Sie hörte auf, ihn zu schütteln, hielt aber sein Jackett weiter fest.
    »Darüber komme ich vielleicht hinweg«, sagte sie. »Glaube ich.«
    Sie sah wieder in seine Augen hoch und zog ihn auf sich zu. Sie küsste ihn lange fest auf den Mund und stieß ihn dann zurück. Sie ließ ihn los.
    »Hoffe ich. Ruf mich morgen an.«
    Bosch nickte und ging nach draußen. Sie schloss die Tür.
    Bosch stieg die Verandastufen hinab auf den Gehweg, der am Kanal entlangführte. Er blickte auf die gespiegelten Lichter der Häuser am Wasser. Zwanzig Meter weiter spannte sich eine gewölbte Fußgängerbrücke, beleuchtet vom Mond und sonst nichts, über den Kanal. Ihr Spiegelbild auf dem Wasser war perfekt. Er drehte sich um und stieg wieder die Verandastufen hinauf. An der Tür zögerte er erneut, und wenig später öffnete Brasher.
    »Die Veranda knarrt, weißt du noch?«
    Er nickte, und sie wartete. Er war nicht sicher, wie er ihr sagen sollte, was er sagen wollte. Schließlich begann er einfach.
    »Einmal, als ich in einem dieser unterirdischen Gänge war, über die wir gestern Abend gesprochen haben, stieß ich direkt mit einem Kerl zusammen. Einem Vietcong. In einem von diesen schwarzen Schlafanzügen, mit geschwärztem Gesicht. Einen Moment glotzten wir uns beide nur an, und dann reagierten wir wahrscheinlich beide ganz instinktiv. Wir rissen unsere Waffen hoch und drückten gleichzeitig ab. Genau im selben Moment. Und dann rannten wir in entgegengesetzten Richtungen davon. Beide laut schreiend und verrückt vor Angst.«
    Er hielt inne, als dächte er über die Geschichte nach, die er mehr sah als erinnerte.
    »Jedenfalls dachte ich, er müsste mich getroffen haben. Wir standen uns direkt gegenüber, viel zu nah, um daneben schießen zu können. Ich dachte, meine Pistole hätte Ladehemmung gehabt oder irgendwas. Irgendwie hatte sich der Rückstoß anders angefühlt als sonst. Als ich wieder an die Oberfläche kam, habe ich mich als Erstes selbst untersucht. Kein Blut, keine Schmerzen. Ich habe alle meine Sachen ausgezogen und mich abgesucht. Nichts. Er hatte daneben geschossen. Der Kerl stand direkt vor mir und schaffte es irgendwie, mich nicht zu treffen.«
    Sie kam nach draußen und lehnte sich unter der Verandalampe an die Hauswand. Sie sagte

Weitere Kostenlose Bücher