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Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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nicht mehr länger erwünscht. Jerry?«
    Edgar trat näher und winkte Morton von der Couch hoch.
    »Kommen Sie. Zeit, da rauszugehen und Ihr Gesicht in die Kameras zu halten. Das ist doch bestimmt gut fürs Geschäft, oder nicht?«
    Morton stand beleidigt auf und ging. Bosch stellte sich ans Fenster und zog den Vorhang ein Stück zurück. Als Morton, der das Haus durch die Küchentür verlassen hatte, die Einfahrt erreichte, ging er sofort auf die Gruppe von Journalisten zu und begann aufgebracht zu sprechen. Bosch konnte nicht hören, was er sagte. Brauchte er auch nicht.
    Als Edgar ins Wohnzimmer zurückkam, bat ihn Bosch, in der Zentrale anzurufen und einen Streifenwagen anzufordern, um einen Massenauflauf zu verhindern. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass die Journalistenmeute wie ein sich selbst replizierender Virus von Minute zu Minute größer und hungriger wurde.

19
    Sie fanden Nicholas Trents Kinder, als sie, nachdem seine Leiche weggebracht worden war, sein Haus durchsuchten. Zwei Schubladen des kleinen Schreibtischs im Wohnzimmer, eines Schreibtischs, den Bosch am Abend zuvor nicht durchsucht hat te, waren voll mit Ordnern, Fotos und Bankunterlagen, unter denen sich auch mehrere dicke Umschläge mit entwerteten Schecks befanden. Trent hatte jeden Monat kleine Geldbeträge an eine Reihe von Wohltätigkeitsorganisationen geschickt, die bedürftige Kinder unterstützten. Er hatte seit Jahren von den Appalachen über den brasilianischen Regenwald bis zum Kosovo Geld gespendet. Bosch fand keinen Scheck für einen höheren Betrag als zwölf Dollar. Er fand Dutzende Fotos von Kindern, denen Trent angeblich half, sowie kurze handschriftliche Briefe von ihnen.
    Bosch hatte im Nachtprogramm schon jede Menge Werbesendungen solcher Organisationen gesehen. Sie waren ihm seit jeher suspekt gewesen. Nicht was die Frage anging, ob ein paar Dollar reichten, um ein Kind mit dem Lebensnotwendigsten zu versorgen, sondern ob diese paar Dollar tatsächlich zu ihnen gelangten. Er fragte sich, ob die Fotos, die Trent in seinen Schreibtischschubladen aufbewahrte, irgendwelche Einheitsfotos waren, die jeder Spender zugeschickt bekam. Er fragte sich, ob die in kindlicher Handschrift verfassten Dankesschreiben gefälscht waren.
    »Das ist ja ’n Ding«, sagte Edgar, als er den Inhalt des Schreibtischs inspizierte. »Dieser Typ, das ist ja fast so, als würde er für irgendwas Buße tun – so viel Geld an diese Organisationen zu schicken.«
    »Allerdings. Aber Buße für was?«
    »Das würde ich auch gern wissen.«
    Edgar fuhr mit der Durchsuchung des zweiten Schlafzimmers fort. Bosch betrachtete einige der Fotos, die er auf dem Schreibtisch ausgebreitet hatte. Es waren Jungen und Mädchen, und keins der Kinder sah älter als zehn aus, obwohl das schwer zu sagen war, weil alle die leeren, alten Augen von Kindern hatten, die viel Krieg und Hunger und Vernachlässigung erfahren haben. Er nahm eine Aufnahme eines weißen Jungen und drehte sie um. Auf der Rückseite stand, dass er während des Kosovo-Konflikts seine Eltern verloren hatte. Er war in dem Granatwerferbeschuss, in dem seine Eltern ums Leben gekommen waren, verletzt worden. Er hieß Milos Fidor und war zehn Jahre alt.
    Bosch war mit elf Jahren Waise geworden. Er blickte in die Augen des Jungen und sah seine eigenen.
    Um vier Uhr Nachmittag schlossen sie Trents Haus ab und trugen drei Schachteln mit beschlagnahmtem Material zum Auto. Trotz einer Bekanntgabe der Pressestelle, alle Informationen über die jüngsten Tagesereignisse würden vom Parker Center weitergegeben, hatte den ganzen Nachmittag eine kleine Gruppe von Reportern vor dem Haus ausgeharrt.
    Die Journalisten bestürmten Bosch und Edgar mit Fragen, aber Bosch erklärte rasch, er sei nicht ermächtigt, sich zu den Ermittlungen zu äußern. Sie verstauten die Schachteln im Kofferraum und fuhren in Richtung Parker Center los, wo Deputy Chief Irvin Irving eine Konferenz einberufen hatte.
    Während der Fahrt spürte Bosch heftigen Ärger in sich aufsteigen. Der Grund dafür war, dass Trents Selbstmord – und inzwischen hatte er keine Zweifel mehr, dass es einer war – den Schwung der Ermittlungen über den Tod des Jungen abgelenkt und gebremst hatte. Er hatte den halben Tag damit zugebracht, Trents Sachen durchzusehen, obwohl er viel lieber die Identifizierung des Jungen abgeschlossen hätte und dem telefonischen Hinweis nachgegangen wäre.
    »Was hast du denn, Harry?«, fragte Edgar

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