Kein Entrinnen
dann an einer zweiten markierten Stelle des Buchs inne. Dann lächelte er, legte das aufgeschlagene Buch auf seine Knie und blickte Franklin an.
»Kennen Sie einen Schriftsteller namens Ben O. Boz?«
Der Professor dachte nach.
»Ben O. Boz? Das erinnert mich an etwas … Warten Sie, ich hab’s: Die Dreierregel. Sein erster Erfolg, glaube ich. Und bedauerlicherweise auch sein einziger. Seit fünfzehn Jahren hört man nichts mehr von ihm. Dabei war das erste Buch wirklich gut geschrieben. Haben Sie es gelesen?«
»Ja.«
Sheridan holte sieben Bücher von Boz aus seiner Papiertüte und stapelte sie vor Franklin auf. Dann öffnete er seine Mappe aus Karton und holte sieben Ordner daraus hervor; Ordner, die den Stempel der Staatspolizei trugen.
»Um es kurz zu machen, Professor, sagen wir, dass das Zusammentreffen mehrerer Umstände in den letzten Wochen mich dazu geführt hat, dass ich mich für diesen unbedeutenden Autor interessiere. Zufällig war eines seiner Bücher das Lieblingsbuch eines der Opfer des Falles, mit dem ich mich augenblicklich befasse.«
»Eines der Opfer?«, fragte Frank beunruhigt.
Das Bisschen an Selbstsicherheit, das er in den letzten Minuten wiedergewonnen hatte, schmolz in Sekundenschnelle dahin.
»Ja«, bestätigte der Polizist. »Der Opfer. Wir haben festgestellt, dass Boz’ Werke merkwürdigerweise im Leben mehrerer anderer Gewaltopfer eine Rolle spielen. Aus Gründen, die uns vollkommen schleierhaft sind, taucht Boz in ihren Akten auf. Unsere Opfer kannten seine Bücher. Auf den ersten Blick kann es sich dabei natürlich um einen Zufall handeln. Wenn wir uns immer mit den Lesegewohnheiten unserer Opfer beschäftigen würden, kämen Leute wie Stevenson und Jules Verne wahrscheinlich immer in Verdacht. Trotzdem!«
Der Cop legte eine Hand auf die aufgestapelten Bücher.
»Ich habe hier sieben von Boz geschriebene Kriminalgeschichten. Als ich ein wenig darin herumstocherte, wurde mir klar, dass sie alle mit realen Fällen zu tun haben, die sich in Neuengland ereignet haben.«
Er legte seine andere Hand auf den Stapel mit Aktenordnern rechts.
»Nämlich mit diesen hier. Die Namen, Orte und Mordwerkzeuge mögen verändert sein, aber das Wesentliche ist absolut korrekt.«
Franklin streckte die Arme auf dem Tisch aus. Diesmal war seine Neugier wirklich geweckt. Sheridan fuhr fort.
»Ich habe nur fünfzehn Bücher von Boz gelesen, die er in den letzten neun Jahren veröffentlicht hat, eine Expertin aus unserer Abteilung hat den Rest durchgeackert. Wir konnten seine Werke nur mit den Polizeiarchiven unserer Region vergleichen. Im Augenblick ist es unmöglich, in anderen Gerichtsbezirken Nachforschungen anzustellen. Und trotzdem haben wir schon sieben Berührungspunkte.«
Er verschränkte mit starrem Blick die Arme. Bereit, die zweite Etappe seiner Demonstration anzugehen.
»Franklin, ich spreche hier nicht nur von schlichten zufälligen Übereinstimmungen. Es gibt hier in Boz’ Werk Details, die unzweifelhaft authentisch und eng mit den fraglichen Fällen verbunden sind. Ich spreche von einer intimen Kenntnis der Fälle. Schlimmer noch, von einer vorherigen Kenntnis. Manche Geschichten scheinen von Boz geschrieben zu sein, bevor die Polizei sich überhaupt mit dem einen oder anderen Mord befasst hat. Können Sie mir folgen?«
Franklin nickte. Sheridan erhob sich und sah aus dem Fenster des kleinen Arbeitszimmers hinaus.
»Die Schriftsteller, das ist Ihr Fachgebiet! Sie wissen besser als ich, wie ihre Fantasie funktioniert, wie frei sie schreiben, wie die tatsächliche Arbeit des Romanciers aussieht. Was sie motiviert vor allem, sie zum Schreiben treibt …«
Er machte kehrt und umklammerte mit den Händen die Lehne des Stuhls, auf dem er gesessen hatte.
»Hätten Sie die Güte, diese Romane und Akten zu lesen und mir dann zu sagen, ob dieser Typ eine unglückliche Fantasie hat? Erklären Sie mir, ob man das alles aus dem Nichts erfinden kann, hinter einem Schreibtisch sitzend, oder ob ich Grund zur Beunruhigung habe.«
Ein langes Schweigen folgte.
»Wenn ich Sie recht verstehe«, nahm Frank Franklin schließlich das Gespräch wieder auf, »verdächtigen Sie Ben O. Boz …«
»… von der Realitätsnähe der Mörder, die er schildert, besessen zu sein, ja. Oder selbst der Mörder zu sein. Warum nicht?«
Er griff wieder nach Franklins Buch auf dem Tisch.
»Sie sprechen in diesem Kapitel über Leonardo da Vinci und Michelangelo, die für teures Geld noch warme Leichen kauften,
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