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Kein Entrinnen

Titel: Kein Entrinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Romain Sardou
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Polizei. Sicher, das Ganze war irritierend. Zu viele authentische Parallelen, Nebenaspekte, die sich wiederholten, Indizien, die »nicht erfunden sein konnten« …
    Bei Der Würger war es ein Doppelmord mit einer Klaviersaite in Idaho; bei Die Dämmerung der Herren eine Gefangenschaft in einem noch im Bau befindlichen Hochhaus in Dakota; bei Absoluter Nullpunkt ein Fetischist von Schönheitsflecken in Manhattan; bei Lichtdouble ein vorgetäuschter Selbstmord in Kalifornien. Alle diese Romane hatten ihre quasi exakten Entsprechungen in Fällen in Neuengland, wie die Akten des Cops bewiesen.
    Und dennoch blieb Frank überzeugt, dass es Sheridan war, der in dieser Geschichte zu viel Fantasie bewies. Wenn Boz diese Menschen umgebracht hätte, wie in seinen Romanen beschrieben, wäre er unweigerlich gefasst worden. Das Ganze war zu ungeheuerlich für einen einzelnen Mann. Einleuchtender erschien ihm die Idee, dass Boz ausgezeichnete Beziehungen zum Justizapparat Neuenglands unterhielt. Undichte Stellen gewissermaßen, Cops, die es ihm ermöglichten, bestimmte Fälle wie ein Journalist direkt zu recherchieren und seinen im Entstehen begriffenen Roman entsprechend zu entwerfen. Ermittlungen mitverfolgen, Spuren am Tatort untersuchen, sich Zugang zu Leichenhallen verschaffen und mit den Technikern auf Du und Du stehen - das alles war nicht unmöglich, insbesondere für einen Schriftsteller, der im Gegensatz zu den Vertretern der Presse nie heiße Spuren veröffentlicht und damit die Arbeit der Ermittler nicht gefährden kann. Das ergab Sinn. Was aber, wenn der Zeitpunkt der Veröffentlichung und der der Ermittlungen nicht zusammenpassten? Wenn die Romane schon geschrieben waren, bevor die Polizei die Opfer entdeckt hatte? Man musste sich wohl damit abfinden, dass Boz sich von anderen, ähnlich gelagerten Fällen hatte inspirieren lassen, von denen Sheridan nichts wusste. Schließlich hatte dieser zugegeben, dass er nur zu den Fällen in seinem Amtsbereich Zugang hatte.
    »Meine Güte, man muss doch nur einmal mit diesem Typen reden, und der Fall ist erledigt!«
    Frank stieg aus dem Bett. Mary war eingeschlafen. In ein paar Stunden würde er sie wecken müssen, damit sie unauffällig zu ihren Eltern zurückkehrte. Nach nur elfwöchiger Dienstzeit in Durrisdeer wäre es ein wenig forsch gewesen, vor aller Welt hinauszuposaunen, dass er schon die Tochter des Dekans vernaschte.
    Er ging in die Küche hinunter. Nackt stand er in dem wenig schmeichelhaften Kühlschranklicht und öffnete ein Bier. Er gestand es sich noch nicht ein, aber diese Geschichte mit Boz reizte ihn durchaus und im Augenblick hielt sie ihn richtig wach.
    Die Details . Das war es, was ihn irritierte.
    Boz’ Romane krankten an einer Detailbesessenheit, die seine Erzählungen unlesbar machten. Alles war pingelig bis ins Kleinste geschildert, um authentisch zu wirken. Das führte dazu, dass die Ermittlungen sich in ärztliche Gesundheitsbulletins, Amputationsschilderungen oder in das Protokoll des Deliriums eines Mörders verwandelten, der seine Opfer zu endlosen Hypnosesitzungen zwingt. Alles war perfekt belegt. Manchmal wiederholte sich Boz. Oder vielmehr er überarbeitete, was er bereits geschrieben hatte. Beispielsweise diese schwangere Frau in dem Roman Die Leute von Portsmouth , die von ihrem blutrünstigen Ehemann verfolgt wird. Ihre Flucht endet im Wald, wo sie ganz alleine eine Tochter zur Welt bringt, während der Wahnsinnige nicht weit entfernt auf der Suche nach ihr herumstreicht. Der erste Schrei des Neugeborenen bedeutet für Mutter und Kind das Ende. So stand es in einem Buch aus dem Jahr 1995. Die Episode mit der Geburt machte dort nur wenige Absätze aus, alles wurde aus der Sicht des Mörders dargestellt. Vier Jahre später griff Boz die gleiche Story von der einsamen Frau in den Wehen wieder auf, doch dieses Mal wurde die Geburt zum Herzstück des Kapitels, chirurgisch in jeder Bedeutung des Worts. Mehr als acht Seiten Schilderungen! Keine Blutung, keine Kontraktion, keine Träne wurden dem Leser erspart. Der Text wirkte so gründlich recherchiert, dass man hätte glauben können, er sei Wort für Wort aus einer Arbeit der medizinischen Fakultät abgeschrieben.
    Die einzigen Darstellungen, in denen Franklin auf eine ebensolche Fülle von Details stieß, waren die Polizeiberichte, die Sheridan ihm dagelassen hatte. Auch darin stützte sich alles auf winzige Indizien.
    Aber musste dieser Schriftsteller ein Verrückter sein, damit das Ganze

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