Kein Entrinnen
hing. Das Paar wohnte in New Jersey, im winzigen Apartment einer Freundin Marys von der Modeschule, das vom Fußboden bis zu Decke ganz in Rosa gestrichen war. Dort liebten sie sich ausgiebig und redeten stundenlang, ebenfalls höchst vergnüglich, miteinander.
Am Freitag fuhr Frank am Spätnachmittag zur Kreuzung der 52. Straße mit der Avenue of the Americas, um seinen Verleger zu treffen. Dessen Büro befand sich auf halber Höhe eines Wolkenkratzers, in dem gut dreißig weitere Verlagshäuser ihren Sitz hatten.
Benchmark Altaï Publishing wurde von Albert Dorffmann geleitet, dem glücklichen Herausgeber von Die Versuchung des Schreibens, der außerdem ganze Regalreihen voll rein akademischer oder für Akademiker und Studenten bestimmter Werke veröffentlicht hatte. Der Verlag lebte nicht von seinem Verkauf in Buchhandlungen, sondern von den Bibliothekseinkäufen Hunderter von Hochschulzentren im ganzen Land. Dieser Parallelmarkt war völlig risikolos, man wusste auf zwanzig oder dreißig Exemplare genau, wie hoch die Verkaufszahlen ausfallen würden. Das Thema des Buches spielte praktisch keine Rolle dabei. Maßgeblich waren einzig die akademische Vernetzung des Autors, sein Einfluss und sein Dienstalter. Der Verfasser warb auf Kongressen für sein Werk, leitete ein paar Konferenzen zu dem Thema seiner Veröffentlichung, und die Bestellungen gingen reihenweise ein. Dieser Verlagskreislauf garantierte einen gleichmäßigen und verlässlichen Gang der Geschäfte. Zudem stach von Zeit zu Zeit ein Buch aus der Menge hervor und fand ein größeres Publikum. So war es in Franklins Fall gewesen.
»Wie geht es Ihnen, mein junger Freund?«
»Sehr gut, Mr. Dorffmann«, antwortete Frank, während er das Büro des Verlegers betrat.
Es war ein ringsum verglaster Eckraum, großzügig bemessen und peinlich genau aufgeräumt. Eine Ordnung, die nicht zu den übrigen Büros und Abteilungen passte, in denen sich Manuskripte, Fahnenabzüge, gestrandete Unterlagen und Bücher von Kollegen neben Postpaketen türmten, die für die universitäre Presse an beiden Küsten des Landes bestimmt waren.
»Wie viel Zeit ist seit unserem letzten Treffen vergangen?«
»Beinahe sechs Monate«, antwortete Franklin.
»Ts, ts, ts. Ich sehe meine Autoren nicht oft genug. Ich sollte mehr reisen. Wissen Sie, ich erfahre mehr Neues von unserer lieben Eda als von Ihnen!«
»Von meiner Mutter?«
Der Verleger, ein kleiner, rundlicher Mann mit Vollglatze, jovial, aber gerissen, gebildet, aber mit einer Buchhalterseele, lächelte dem jungen Mann zu, während er auf seinem Sessel Platz nahm.
»Sie scheint sich auf ein Unterfangen eingelassen zu haben, das mit Honoré de Balzac zu tun hat«, sagte er.
»Wirklich? Das hat sie mir noch gar nicht gestanden.«
Dorffmann streckte die Hände zum Himmel.
»Aus Angst, Sie könnten es ihr ausreden! Etwas, das mir nicht gelingt, trotz meiner wiederholten Anläufe. Stellen Sie sich nur vor, sie hat sich in den Kopf gesetzt, alle Romane von Balzac Wort für Wort zu analysieren!«
Der Verleger nickte nachdrücklich, als wäre Franklin angesichts dieser Enthüllung aufgesprungen und in Entsetzensschreie ausgebrochen.
»Da hat sie was zu tun!«, sagte der junge Mann.
»Sie denken das Gleiche wie ich. Es ist Wahnsinn.«
Franklin erkannte seine Mutter darin nur zu gut wieder. Es kam nicht infrage für ihn, sie von ihrer Meinung abzubringen. Eda Franklin machte ihre Absichten nie publik, ohne sich die Sache zuvor gründlich überlegt zu haben.
»Und Sie, Frank?«, fragte der Verleger. »Ich will ja nicht ungeduldig sein, aber Sie wissen selbst, dass wir die bemerkenswert positive Aufnahme Ihres Essays ausnutzen sollten. Das Feuer darf nicht zusammenfallen. Haben Sie ein Projekt?«
Bei seinen letzten Worten hatte der Verleger seinen Sessel kippen lassen und versucht, seine in englischen Schuhen steckenden Füße auf den Schreibtisch zu legen, um sich das Flair eines Kinoproduzenten zu geben, doch sein runder Bauch hatte ihn daran gehindert. Bescheiden geworden zupfte er an seiner Strickkrawatte und legte die Hände auf seinen Wanst.
»Ja«, erwiderte Frank, »ich habe ein Projekt. Ganz frisch.«
»Ausgezeichnet! Was wird es sein? Ein Essay?«
»Nein, ein Roman.«
Dorffmann runzelte die Augenbrauen.
»Ach ja?«
Er hüllte sich in Schweigen. Diese Sparte lag ihm nicht. Bei Benchmark Altaï Publishing war man am »Romangenre« nicht sehr interessiert.
»Wirklich?«, fuhr er fort. »Welche Art von
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