Kein Entrinnen
was ich von Ihrer Geschichte halten soll«, antwortete ihm Franklin, der fürs Erste kein Wort über sein Gespräch mit dem ehemaligen Verleger von Boz verlauten lassen wollte. »Ich habe alles genau unter die Lupe genommen. Manches spricht dafür, manches dagegen. Aber ich kann mich im Augenblick nicht eindeutig festlegen …«
Während des Telefonats saß Franklin an seinem Schreibtisch zu Hause. Er hatte Boz’ Romane und die Akten sowie seine eigenen Notizen vor sich, und die Seiten häuften sich, seitdem er sich wieder an seine Schreibmaschine gesetzt hatte.
»Boz soll das alles erfunden haben?«, fragte der Colonel ungläubig.
»Alle Kriminalromane erfüllen bestimmte gemeinsame Regeln: die juristischen Verfahren sind immer die gleichen, und je enger sich die Erzählung an die Realität anlehnt, umso besser kommt das im Text zur Geltung. Es kommt vor, dass Fiktion und Realität sich decken. An Boz’ Eifer wäre nichts Verdächtiges, wenn er nicht so oft so nahe an die Wahrheit herankäme. ( Pause .) Ich denke vor allem, dass Sie mir nicht alles über ihn gesagt haben. Sie fahren ganz schön heftige Geschütze gegen den Typen auf!«
Wieder trat eine Pause ein. Sheridan fuhr fort: »Vielleicht wäre es sinnvoll, dass wir uns wiedersehen, nachdem Sie nun seine Bücher und unsere Akten gelesen haben. Ich könnte Ihnen noch mehr zeigen.«
Frank ergriff die Gelegenheit beim Schopf.
»Einverstanden. Soll ich morgen in Ihrem Büro vorbeikommen?«
»Nein. Kommen Sie lieber zu mir nach Hause. Dort arbeite ich an der Sache. Ich habe es Ihnen ja gesagt: Das alles ist in keiner Weise offiziell.«
An der Auburn Street Nummer 55 öffnete Sheridan die Tür. Er sah ausgeruht aus, trug ein tadelloses Uniformhemd mit Krawatte und glänzend polierte Schuhe.
»Guten Tag, Professor. Treten Sie ein.«
»Entschuldigen Sie, ich habe mich etwas verspätet. Ich wurde in Durrisdeer aufgehalten.«
»Probleme in der Universität?«
»Vielleicht. Einer unserer Studenten fehlte beim Appell. Seine Eltern machen sich natürlich Sorgen. Alles ist in heller Aufregung. Vermutlich nichts Ernstes am Ende.«
Das Haus des Polizeichefs war sehr imposant und verschwenderisch eingerichtet. Ein Innenarchitekt mit einer ausgesprochenen Vorliebe für Mahagoni hatte überall seine Spuren hinterlassen. Offenbar bezog Sheridan ein hervorragendes Gehalt bei der Staatspolizei. Er führte Franklin in die geräumige, sehr moderne Küche. Frau und Kinder waren bereits gegangen. An einer großen Küchentheke war Frühstücksgeschirr für zwei Personen gedeckt. Der Colonel schenkte ihm eine Tasse Kaffee ein. Ein stumm geschalteter Fernsehapparat verkündete die Morgennachrichten.
»Sagen Sie mir, was Sie von meiner Geschichte halten?«, fragte Sheridan, während er Fruchtsäfte aus dem Kühlschrank holte.
Frank machte eine unbestimmte Handbewegung, die verdeutlichte, dass er sich ein wenig überfordert fühlte.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Das hängt davon ab, was Sie von mir erwarten. Wenn es sich darum handelt zu sagen: Ja, Boz ist ein entsetzlicher Mörder, oder nein, er ist nur ein sehr fantasievoller Schriftsteller, dann brauche ich mehr Informationen.«
»Das dachte ich mir schon.«
»Jedenfalls muss ich Ihnen ein Kompliment für die Genauigkeit Ihrer Nachforschungen über die Romane von Boz machen. Ich habe die Polizeiberichte studiert, die Sie mir anvertraut haben. Sie haben wirklich verblüffende und kaum erkennbare Details zutage gefördert!«
Lächelnd ahmte Sheridan die gleiche Armbewegung wie Franklin einen Augenblick zuvor nach.
»Lesen ist nicht mein Ding, wissen Sie! Ich hab nicht genug Zeit dafür. Dafür habe ich Experten in meinem Team, denen das in Fleisch und Blut übergegangen ist. Sie haben alle Bücher von Boz auf meine Bitte hin auseinandergenommen, und durch ihre Arbeit konnten wir die Ermittlungsfälle herausfiltern, die seinen Romanen ähnelten.«
Franklin schüttelte den Kopf.
»Das ist keine große Zauberei, wissen Sie«, fügte Sheridan hinzu und goss dabei Milch in seinen Kaffee. »Sie arbeiten im Archiv. Im Polizeiarchiv. Jede Woche gehen sie an die zwanzig alte Fälle durch, um sie im Computer zu digitalisieren. Diese Leute kommen heute dem am nächsten, was man als das ›lebende Gedächtnis‹ der Polizei bezeichnen könnte. Und sie können bis ins Jahr 1950 zurückgehen!«
Franklin sagte sich, dass dies ein faszinierender Posten sein musste. Auf Dauer allerdings deprimierend.
»Dank der
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