Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kein Entrinnen

Titel: Kein Entrinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Romain Sardou
Vom Netzwerk:
Läuferkolonne tauchte innerhalb von Sekunden aus dem Nebel auf und verschwand wieder darin. Einen Augenblick später folgte eine zweite, dann eine dritte Abteilung. Alle Studenten, Jungen wie Mädchen, trugen die gleiche Oberbekleidung: hellgraue Shorts und T-Shirt. Nur die Laufschuhe variierten je nach Marke und Logo. Manche Jogger hatten eine ebenfalls graue Mütze auf dem Kopf oder einen Schal um den Hals gewickelt oder einen Kopfhörer in den Ohren. Ihr Atem vermischte sich zu einer Dampfwolke, die mit dem Nebel verschmolz.
    Drei Jungen der Spitzengruppe, die die Nachhut unter den besten Athleten bildeten, verlangsamten ihren Lauf und verließen plötzlich die Bahn, um sich seitlich in den Wald zu schlagen. Mit wenigen Schritten hatten sie sich der Sicht ihrer Gefährten entzogen.
    Sie wechselten kein Wort miteinander und blickten sich kaum an. Sie sprangen über Zweige und umgestürzte Baumstämme, offenbar kannten sie den Weg. Vor einer von Menschenhand geschaffenen Lichtung zwischen vier massiven Baumstämmen machten sie Halt. Einer der Stämme war vom Blitz in der Mitte gespalten und umgestürzt. Überall rutschte man auf den halb verrotteten Trieben und der schweren Erde aus. Ein durchdringender Geruch nach Harz lag in der Luft.
    Der erste Junge war nicht außer Atem, die beiden anderen hatten mehr Probleme. Einer stützte keuchend den Kopf auf seine Knie, der andere lehnte sich an einen Baum und hängte sich mit einem Arm an einem niedrigen Ast ein.
    Der Erste schimpfte: »Zum Teufel, er ist noch nicht da!«
    Mit der größten Selbstverständlichkeit holte er aus seinen Shorts ein Päckchen Benson & Hedges hervor. Er fingerte eine Zigarette heraus, steckte sie zwischen die Zähne und zündete sie mit einem Feuerzeug an. Mit einem tiefen Zug füllte er seine brennenden Lungen. Seine Haare waren schweißnass und klebten in dicken Strähnen an seiner Stirn. Mit einer Handbewegung schob er sie nach hinten und blickte sich dann um.
    Durch den Nebel wirkten die Bäume sehr schwarz. Der Junge musterte die Umgebung, als warte er auf die Erscheinung eines Gespensts.
    Kurz darauf ertönte ein Pfiff. Die beiden anderen Jungen richteten sich wachsam auf. Der Erste zuckte mit den Schultern und erwiderte den Pfiff mit einem weiteren Pfiff, aber ohne rechte Überzeugung. Dieses kleine Spiel dauerte einige Augenblicke. Bis die Silhouette eines vierten Joggers auftauchte.
    Der Neuankömmling machte einen panischen Eindruck. Er keuchte heftig, sein T-Shirt hatte dunkle Schweißflecken, Wangen und Nase waren gerötet und seine roten Haare an den Spitzen mit Reif überzogen.
    Ohne jene verachtungsvolle Miene abzulegen, die er für geboten hielt, streckte der erste der Gruppe ihm einen Arm entgegen, um ihm über einen am Boden liegenden Baumstamm hinwegzuhelfen.
    »Habt ihr Wasser?«, flehte der Neue. »Etwas zu trinken?«
    »Nichts«, antwortete der Erste. »Eine Kippe vielleicht?«
    Angewidert von dieser Vorstellung wurde der Blick des Jungen leer. Er wollte sich setzen, doch der Erste, der noch immer seinen Arm gepackt hielt, zog ihn schonungslos wieder auf die Beine.
    »Bleib stehen«, befahl er. »Geh ein bisschen herum, atme durch. Sonst wirst du uns überall hinkotzen.«
    Der Junge gehorchte und rieb seinen mittlerweile schmerzenden Arm. Ein wenig aus dem Konzept gebracht durch den bejammernswerten Zustand des Neuen sahen sich die drei zuerst angekommenen an. Schließlich aber fasste sich der Neue wieder. Er musterte seine Nachbarn mit einem Blick, der sagte: »Ihr seid das also!« Offensichtlich befand er sich ihnen gegenüber allerdings in einer heiklen, ja beinahe unterwürfigen Position.
    »Ich dachte schon, ich würde nie hierherfinden«, gestand er ihnen. »Man kriegt ganz schön Schiss … so im Wald …«
    »Bist du den Halstüchern gefolgt? Auf den Bäumen?«
    »Ja, schon … aber im letzten Moment, jedes Mal … Dieser verdammte Nebel! Das trifft sich schlecht.«
    »Nein«, versetzte der Erste, nachdem er mit seiner Benson einen Rauchkringel fabriziert hatte. »Ganz im Gegenteil, das trifft sich sehr gut …«
    Die vier Jungen verharrten noch einen langen Moment schweigend. Ihre Schultern waren eiskalt. Die Kälte, die sie während des Laufens nicht gespürt hatten, setzte ihnen nun schmerzhaft zu.
    Dann fragte der Neuankömmling: »Worauf warten wir eigentlich?«
    »Auf das Protokoll.«
    »Das Protokoll?«
    »Ja, mein Lieber. Es ist immer das Gleiche, weißt du …«
    In der Ferne blitzte ein Licht im Wald

Weitere Kostenlose Bücher