Kein Entrinnen
Stellung als Professor in Durrisdeer, die Veröffentlichung Ihrer Untersuchung über Romanschriftsteller, die von den Kritikern positiv aufgenommen wurde. Boz wird keinen Verdacht schöpfen. Während bei einem einfachen Cop aus Concord die Chancen für Nachforschungen von vorneherein auf null sinken würden, hat ein anerkannter Literaturprofessor gute Erfolgsaussichten.«
Franklin schüttelte energisch den Kopf.
»Wir sprechen hier über einen Mann, der Ihrer Hypothese zufolge mordet oder an Morden beteiligt ist, um sie dann mit so vielen realistischen Details wie möglich zu Papier zu bringen. Er soll Verbrechen begehen, nur um sich zu inspirieren!«
Sheridan nickte.
»Das bedeutet«, fuhr Franklin eindringlich fort, »dass jeder, der sich dieser Person von nah oder ferne nähert, ein potenzielles Opfer im System dieses Wahnsinnigen ist. Wollen Sie, dass ich in seinem nächsten Roman ende?«
Sheridan lächelte eisern weiter.
»An Fantasie fehlt es Ihnen nicht«, sagte er. »Sie rechnen sofort mit dem Schlimmsten, dem großen Blutbad! Erstens werden Sie nicht ganz schutzlos vor Boz stehen. Ein vorgewarnter Mann ist so viel wert wie zwei, wie es so zutreffend heißt. Und mit mir sind wir dann schon zu dritt.«
»Das ist nicht lustig.«
»Professor Franklin!«
Sheridans Ton wurde plötzlich erheblich schärfer. Mit einem Mal war keine Rede mehr von einem entspannten kleinen Frühstück, angerichtet von der Dame des Hauses auf der Küchentheke. Nun sprach der Polizeichef.
»Ich verlange von Ihnen nicht, einen Mörder zu entlarven, ihn mit Ihren unschuldigen kleinen Händen zu verhaften oder unter Blut, Geschrei und Tränen Ihr Leben zu riskieren wie in den Schlussszenen von Actionfilmen … sondern nur, einen Blick auf den Mann zu werfen, zu sehen, wie er lebt, wie er arbeitet, wer er ist. Ein schlichter Beobachtungsauftrag, den ich nicht an Ihrer Stelle durchführen kann.«
Franklin hob eine Hand und ließ sie kraftlos wieder fallen.
»Ein Beobachtungsauftrag … Schicken Sie doch einen Ihrer Männer! Einen echten Maulwurf. Einen Typ, der sich mit solchen Operationen auskennt!«
Sheridan schüttelte ablehnend den Kopf. Er war es müde, sich wiederholen zu müssen.
»Er könnte sich nie so gut einführen wie Sie. In Boz’ Augen, meine ich. Sie wären ein ernsthafter Gesprächspartner für ihn. Das ist unbezahlbar.«
Sheridan ließ Franklin Zeit zum Nachdenken. Er stellte das Geschirr ins Spülbecken. Der junge Mann war ratlos und durcheinander.
»Aber warum sollte ich so etwas tun?«, brach es plötzlich aus ihm hervor. »Weshalb sollte ich ein derartiges Risiko eingehen, um Ihre, Verzeihung, schlichtweg verquaste Theorie zu untermauern? Schließlich bin ich nur ein Akademiker!«
Sheridan zuckte mit den Schultern. Er war darauf gefasst gewesen, dass das Gespräch an diesem Morgen diesen Punkt erreichte.
»Ich kann es Ihnen in der Tat nicht befehlen.«
»Das glaube ich auch!«
Der Polizist trocknete sich ruhig die Hände an einem Tuch ab. »Aber ich kann versuchen, Sie davon zu überzeugen, dorthin zu gehen«, sagte er. »Kommen Sie mit. Sehen Sie selbst, und dann entscheiden Sie, ob es den Einsatz wert ist.«
Das Büro des Colonel im Obergeschoss war abgeschlossen. Seit mehreren Wochen hatten weder seine Frau noch seine Kinder das Recht, es zu betreten.
Auf dem Boden türmten sich Berge von umfangreichen Aktenordnern in aufgerissenen Kartons, Rollen von Kopien und Metallbehälter, gefüllt mit Dutzenden und Aberdutzenden von Kassetten. Dieses ganze heillose Durcheinander hatte die Einrichtung völlig überschwemmt; die Möbel, die Sessel und das niedrige Tischchen kippten halb darunter um.
Als Franklin das Zimmer betrat, lenkte sogleich eine Wandkarte der Vereinigten Staaten seine Aufmerksamkeit auf sich. Etwa zwanzig Reißnägel waren über das ganze Land verteilt darauf gesteckt.
Und dann die Fotos.
Ein Gemälde aus Fotografien.
Achtundvierzig insgesamt.
Vierundzwanzig Fotos von Leichen. Und daneben die Fotos derselben Personen zu ihren Lebzeiten. Männer, Frauen, junge Leute, ein älteres Paar.
Sheridan räumte einen mit Papierkram übersäten Stuhl frei, damit der Professor sich darauf fallen lassen konnte. Der junge Mann war zutiefst verstört. Er starrte wie gebannt auf die Leichen …
»Was ich Ihnen hier mitteile, ist in höchstem Maße vertraulich«, warnte ihn Sheridan. »Sie sollen verstehen, dass Sie Boz nicht an meiner Stelle aufsuchen sollen, um mir zu helfen, sondern um
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