Kein Entrinnen
packte ihn die Angst an der Gurgel.
An der Mauer, die Boz’ Anwesen umgab, war weder eine Klingel noch eine Sprechanlage zu sehen. Die Überwachungskamera ruhte auf einer beweglichen Halterung. Plötzlich korrigierte das Gerät seinen Winkel, um Franklin zu fixieren. Der Professor blieb stehen, sein Blick war auf die schwarze Linse geheftet. Bestimmt beobachtete ihn der Schriftsteller auf der anderen Seite. Frank hob die rechte Hand zum Gruß.
Das Portal öffnete sich.
Franklin ging zu seinem Auto zurück.
Ein Weg aus weißem Kies führte in den Park hinein; ein paar seltene Gehölze, ausgedehnte grünliche und braune Flächen, hie und da noch von Schneefeldern bedeckt, die sich im Schatten der großen Bäume gehalten hatten. Franklin durchquerte dieses unbekannte Gelände wie Durrisdeer bei seiner Ankunft: mit weit geöffneten Augen, fasziniert von dem, was ihn erwarten sollte.
Eine Villa im Tudorstil. Hohe, sehr steile Dächer, Fenster mit Simsen so dick wie Baumstämme, manche davon mit farbigen Butzenscheiben. Franklin erinnerte sich, dass er von der Mauer aus eine andere Seite des Hauses gesehen hatte, bevor die zwei Rohlinge des FBI ihn sechs Meter tiefer auf den Boden geschleudert hatten. Das Anwesen war so ruhig wie ein verwunschenes Museum für Touristen in Neuengland.
In der Ferne zeichnete sich im Türrahmen eine Männergestalt ab. Franklin parkte seinen Wagen und stieg aus.
Er trug eine über die Schulter gehängte Tasche, darin befanden sich ein Notizblock, Stifte, Arbeiten von Studenten und Alltagskram. Das war alles, was das FBI ihm vor seiner Abreise genehmigt hatte. Die Sig Sauer P220 Equinox hatte Frank unter dem Armaturenbrett des Käfers versteckt. Als er Chester-Chester Depot Richtung Dovington verlassen hatte, hatte er das Magazin überprüft und die Waffe sorgfältig am Boden seiner Tasche verstaut.
Boz erschien.
Auf den ersten Blick hatte er keine große Ähnlichkeit mit dem Foto auf den Umschlägen seiner Bücher. Der Boz, der Frank gegenüberstand - er erkannte ihn an den Fotos, die Melanchthon ihm gezeigt hatte -, besaß kein einziges Haar mehr auf dem Kopf, den er sogar rasiert hatte, und sein Gesicht rahmte ein dichter grauer Bart ein. Er hatte mindestens zwanzig Kilo zugenommen und … er war ein Riese! Er trug eine abgewetzte Cordhose und einen grob gestrickten Pullover unter einer Weste aus Schaffell.
Drei Hunde lösten sich zwischen seinen Beinen und rasten auf den Neuankömmling zu. Frank wich nicht zurück. Die Rottweiler umkreisten ihn sehr nervös. Boz ging keinen Schritt auf ihn zu. Er lehnte sich an seine Eingangstür und wartete, bis Franklin vor ihm stand.
»Willkommen.«
»Mister Boz«, stieß Franklin als Antwort hervor und streckte ihm die Hand entgegen.
Das Gesicht des Schriftstellers war kantig, blass und für seine sechzig Jahre schon sehr faltig, aber mit ungewöhnlichen Falten an Stellen, die gewöhnlich mehr vom Alter verschont wurden. Sein Blick war aufmerksam und intelligent.
»Na schön«, dachte sich Frank, »schon so kann Boz einem Angst einjagen. Er entspricht perfekt dem Bild, das Sheridan und das FBI von ihm gezeichnet hatten.«
Doch so monströs er auch sein musste, er hielt weder eine blutgetränkte Motorsäge in der Hand noch ließ er Vampirzähne zwischen seinen Lippen aufblitzen. Er lächelte vielmehr. Durchaus entgegenkommend.
»Ich bin sehr erfreut«, sagte Franklin. »Ich hatte nicht gehofft, dass Sie mir so schnell antworten würden.«
»Warum nicht? Wie ich Ihnen am Telefon bereits sagte, habe ich letzten Herbst Ihr Buch gelesen. Ich bin ein Fan von Tolstoi. Ihr langes Kapitel über ihn hat mich tief bewegt.«
Boz liebte Tolstoi. Schön, sein Handschlag jedenfalls konnte mit dem eines Kosaken mithalten. Er war derb, kraftvoll und ohne Scheu.
»Folgen Sie mir bitte.«
Von den Hunden eskortiert betraten sie die Villa.
Nach einer langgezogenen Eingangshalle, von der links und rechts verschlossene Türen abgingen, wurde Franklin in einen kleinen Salon mit dickem Teppichboden, roten unifarbenen Vorhängen und ein paar wenigen Möbelstücken geführt. In einer beleuchteten Vitrine waren Reproduktionen antiker Büsten sowie drei Feuerwaffen ausgestellt, die noch aus der Zeit stammten, da der Mensch seine Streitigkeiten im Duell regelte. Franklin erblickte außerdem einen Beistelltisch aus Wurzelholz mit einem Stapel von Lokalzeitungen darauf und an den Wänden Schwarzweißabzüge berühmter Fotografien, zum größten Teil Porträts.
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