Kein Fall fuer Wilsberg
Jubiläumsjahr endlich vorbei ist. Dann kann man wenigstens mal wieder über den Prinzipalmarkt gehen. Möchtest du Kaffee?«
Ich sagte nicht nein.
Als meine Aufmerksamkeit nicht mehr durch Aishe abgelenkt wurde, die die Kaffeetassen bis zum Rauchtisch balanciert hatte, sagte Sigi: »Du erinnerst dich doch an Gerd Sonn? Als du das letzte Mal hier warst, hat er uns den Auftrag erteilt, seine Frau zu beschatten.«
»Dir hat er den Auftrag erteilt, ich hätte ihn nicht angenommen.«
»Laß die Haarspalterei, Georg! Tatsache ist, daß wir seine Frau beobachtet haben. Und weißt du, was dabei herausgekommen ist?«
»Ich will es gar nicht wissen.«
»Ich sage es dir trotzdem: Sie betrügt ihn nach Strich und Faden. Und zwar nicht mit einem, auch nicht mit zwei, nein, mit mindestens drei anderen Männern. Das konnten wir schon nach einer Woche feststellen. Was sagst du dazu?«
»Daß ihr bei einer längeren Beobachtungszeit vermutlich auf eine höhere Quote kommt.«
»Sei nicht albern, Georg! Was sollen wir jetzt machen?«
»Hast du eine Wahl? Du mußt deinem Auftraggeber Bericht erstatten.«
»Du kennst ihn doch. Wie wird er reagieren?«
»Gerd ist ein ziemliches Sensibelchen. Wahrscheinlich wird er dich fragen, wo man günstig Zyankali kaufen kann.«
Sigi verdrehte die Augen.
»Okay, es gibt noch eine andere Möglichkeit. Du sagst ihm, daß alles in Ordnung sei, und Charlotte gibst du den Tip, daß Gerd etwas ahnt und sie sich in Zukunft zurückhalten soll.«
Sigi setzte ein verführerisches Lächeln auf. »Kennst du nicht auch Charlotte Sonn?«
»Oh ja. Deshalb habe ich es von vorneherein für möglich gehalten, daß Gerds Befürchtungen zutreffen.«
»Könntest du nicht…?«
»… mit ihr sprechen? Nein. Schlag dir das aus dem Kopf, Sigi!«
Sie zog einen Schmollmund. »Ich bitte dich nur um einen kleinen Freundschaftsdienst, Georg. Du könntest es wie ein Gespräch unter alten Bekannten aussehen lassen.«
Aber ich blieb hart. Sie hatte sich selbst in diese peinliche Situation gebracht, nun mußte sie auch sehen, wie sie da wieder rauskam. Manchmal kann ich verdammt konsequent sein.
Am Abend fuhr ich zum Hauptbahnhof und parkte in einem dieser schönen neuen Parkhäuser, die man in Münster jetzt in jede Baulücke der Innenstadt stellt. Vor dem Haupteingang kam der unvermeidliche Hasse-mal-ne-Mark-Spießrutenlauf durch eine Gruppe von Pennern und Punks.
Dann stand ich in der Halle, die bis auf einen Krimskrams-Stand und einige Zufrüh- oder Zuspätgekommene leer war. Schwulentreffpunkt, das wußte selbst ich, war der Bereich der Herrentoilette im Durchgang zwischen Eingangshalle und Osttunnel. Also schlenderte ich gemächlich am Buchladen vorbei Richtung Osttunnel.
Einige Männer in meinem Alter musterten mich von oben bis unten und guckten dann gelangweilt in eine andere Richtung. Die Altersklasse der Unter-Zwanzigjährigen schien hier nicht vertreten zu sein. Aus der geöffneten Tür der Toilette schlug mir ein beißender Uringeruch entgegen. Ich fragte mich, wie jemand bei diesem Gestank auf einen anderen Gedanken kommen konnte, als möglichst schnell wieder zu verschwinden. Der Anblick im Inneren war entsprechend niederschmetternd. Zwei ältere Männer standen mit geöffneten Hosen an der Pißrinne, ein dritter, jüngerer, kraulte sich demonstrativ zwischen den Beinen. Ich machte auf dem Absatz kehrt.
Blieb noch Möglichkeit Nummer zwei: der Bahnsteig ohne Kennzeichnung. Gerade als ich in den Osttunnel einbog, legte sich eine Hand auf meine Schulter. »He, sag mal!«
Ich drehte mich um. Vor mir stand ein zirka dreißig Jahre alter Bursche mit Pickeln im ansonsten käsigen Gesicht.
»Ja, bitte!«
»Ich hab dich beobachtet.« Auf der Stirn und den Backen breiteten sich rote Flecken aus.
»Und?«
»Hast du ein Holzbein? Ich mein, ich steh unheimlich auf Prothesen. Wenn du Lust hast…«
»Tut mir leid, Kumpel, das ist nur ein Sportunfall.« Ich ließ ihn stehen. Unter diesem Aspekt hatte ich meine Verletzung noch gar nicht gesehen.
Kurz vor dem Ostausgang fand ich den gesuchten Bahnsteig. Ich quälte mich die Treppe hinauf und stand erst einmal im Dunkeln. Die Bundesbahn hatte eindeutig an Beleuchtungskörpern gespart. Offensichtlich wurden die Gleise nur zum Rangieren benutzt.
Nach einiger Zeit gewöhnten sich meine Augen an das diffuse Licht, das von den anderen Bahnsteigen stammte, und ich machte in einiger Entfernung ein kleines, unbeleuchtetes Häuschen aus. Mehr war nicht zu
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