Kein Fall fuer Wilsberg
erkennen.
Das Häuschen gehörte einer bundesbahneigenen Bildungseinrichtung. Ich setzte mich auf die Türstufe und wartete. Entweder du kommst zu den Ereignissen, oder die Ereignisse kommen zu dir. Vielleicht würde hier erst ab Mitternacht der Bär tanzen. Ich hätte mir eine Thermoskanne mit Kaffee mitbringen sollen.
Eine Viertelstunde später bekam ich Besuch. Ein kleiner Dicker, der mich nur eines einzigen Blickes würdigte und dann weiterzog. Ich sah, daß er vor einem Busch Aufstellung nahm und sich eine Zigarette anzündete. Immerhin waren wir jetzt schon zu zweit.
Kurz vor elf tat sich etwas. Zwei Jugendliche schlenderten aufreizend langsam vorbei und verhandelten dann mit dem kleinen Dicken. Anscheinend wurden sie nicht handelseinig, denn nach einer Weile kamen sie allein zurück.
»Hallo, Jungs!« sagte ich.
Sie blieben stehen.
»Kennt ihr diesen Mann?« Ich zog ein Foto von Jochen Große-Hülskamp aus der Tasche, unterlegt von einem Zwanzigmarkschein.
Die beiden beugten sich über das Foto. »Nee«, sagte der erste und zupfte den Zwanzigmarkschein unter dem Foto weg.
Der zweite schüttelte den Kopf. »Wer soll ‘n das sein?«
»Wenn ihr mir etwas über ihn erzählen könnt, gibt’s noch mehr Scheine«, versprach ich.
Sie guckten sich an und überlegten ein paar Sekunden lang, ob sie mir irgendeine Geschichte auftischen sollten.
Ich grinste. »Vergeßt es!«
Kurz darauf hörte ich sie, etwa zehn Meter von mir entfernt, heftig diskutieren.
In der nächsten halben Stunde kamen einige Kunden vorbei, die das Angebot prüften und wieder abzogen. Dann erschien ein ungefähr fünfzehnjähriger Junge auf der Bildfläche. Er trug kurze blonde Haare, aufgeschlitzte Jeans und ein schulterfreies Unterhemd. Diesmal beeilte ich mich mit der Zwanzigmarks-Nummer, bevor die Päderasten zum Zuge kamen.
Seine Augen weiteten sich, als er Jochens Bild sah.
Ich zog ein Bündel Geldscheine aus der Tasche. »Du kannst dir eine Menge Geld verdienen, wenn du etwas über diesen Mann weißt.«
Er schüttelte den Kopf und wandte sich ab.
»He, warte mal!« rief ich ihm nach.
Er begann zu rennen, und ich lief hinter ihm her. Das heißt, ich wollte hinter ihm herlaufen. Er war schon längst im Bahnhofstunnel verschwunden, als ich schweratmend die Treppe erreichte.
Neben mir ertönte ein spöttisches Zischen. »Kein Glück gehabt, was?«
Ich humpelte die Treppe hinunter. Ein gehbehinderter Detektiv ist wirklich ein Witz. Unten angekommen, fluchte ich laut. Statt des Jungen sah ich vor der Tafel mit den Abfahrtszeiten der Züge ein bekanntes Gesicht. Es gehörte dem alten Mann, der schon auf der Fähre von Texel nach Den Helder neben mir gestanden hatte. Und es konnte eigentlich keinen Zweifel mehr geben, daß er mich verfolgte.
Wütend stapfte ich auf ihn zu, während er weiter so tat, als würde er den Fahrplan auswendig lernen. Ich drückte ihm die Spitze meines Stockes in den Rücken. »Warum folgen Sie mir?«
Er drehte sich langsam um. »Was wollen Sie von mir?«
»Erzählen Sie keinen Scheiß! Sie sind mir von Texel bis nach Münster gefolgt.« Ich war etwas laut geworden, und einige Neugierige blieben stehen.
»Ich weiß zwar nicht, was Sie das angeht, aber ich habe auf Texel Urlaub gemacht und wohne in Münster. Und nun lassen Sie mich in Ruhe, sonst rufe ich die Polizei!«
»Für wen arbeiten Sie?«
Er betrachtete mich abschätzig und kalkulierte wohl seine nicht allzu schlechten Chancen, mir im Sprint zu entwischen, als zwei blauuniformierte Bahnpolizisten auftauchten, die einen Schäferhund mit Maulkorb spazierenführten.
»Gibt es Probleme?« fragte der Polizist, der den nervösen Schäferhund zurückhielt.
Die Augen des Alten blitzten auf. »Dieser Mann hier belästigt mich.«
»Ihren Ausweis, bitte!« wandte sich der zweite Bahnbulle an mich.
Wortlos zog ich mein Portemonnaie aus der Tasche und reichte ihm die grüne Karte.
»Wollen Sie Anzeige erstatten?« Die Frage ging an den Alten.
»Nein, das wird nicht notwendig sein.«
»Stellen Sie gefälligst auch seine Personalien fest!« mischte ich mich ein. »Wenn er keine Anzeige erstattet, tu ich’s.«
»Weswegen?« Die beiden Bahnpolizisten wirkten zunehmend verwirrt.
»Das werde ich mir noch überlegen.«
Der Alte gab ein Grunzen von sich. »Der Typ ist nicht ganz dicht, das merken Sie doch. Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, aber ich muß jetzt wirklich gehen.« Er legte zwei Finger an die Stirn und machte sich davon.
»Und nun?«
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