Kein Fleisch macht gluecklich
das nachvollziehen. Sie kennt von sich selbst die innere Stimme, die das Problem der Tier- und Ressourcenausbeutung als viel zu dringlich ansieht, um sich mit halben Sachen zufriedenzugeben. Und sie weiß, dass man dazu neigt, sich das eigene Verhalten schönzureden. Häufig glauben die Leute, sie wären bereits Halbzeitvegetarier, weil sie ohnehin schon wenig Fleisch essen. Denen sagt Rimpler: »Nein, Halbzeitvegetarier bist du, wenn du die Hälfte von dem isst, was du zurzeit gewohnt bist.« Für Rimpler besteht die größte Herausforderung des Projekts darin, nicht zu viel zu fordern, aber gleichzeitig zu motivieren, den Fleischkonsum wirklich zu ändern. Auf der Website steht kaum etwas über Eier- und Milchproduktion oder Biohaltung, einfach um die Leute nicht zu überfrachten. Rimpler ist sich aber sicher, dass bei vielen die Fragen von alleine kommen, wenn sie sich länger mit dem Thema Fleisch beschäftigt haben. »Halbzeitvegetarier ist ja ein Schritt in eine bestimmte Richtung. Das entwickelt sich bei vielen gedanklich weiter, und wo man ankommt, ist nicht klar.« Das ist auch von ihr so gewollt. Nicht alle, die mitmachten, müssten Vegetarier oder Veganer werden, findet Rimpler. »Manche kommen vielleicht da an. Andere bleiben bewusst bei ein-, zweimal Fleisch pro Woche. Mit der Umstellung merken viele, dass sie nicht länger auf der Seite derer stehen müssen, die es nicht schaffen, die eigenen Wertvorstellungen in die Realität umzusetzen – denn wenn man die Leute fragt, finden ja alle Massentierhaltung Mist.«
Einstellungssache
Die Diskrepanz zwischen einer nachhaltigen Einstellung und dem tatsächlichen Verhalten sei so alt wie die Diskussion um nachhaltiges Verhalten selbst, sagt Professor Ulf Schrader, Wirtschaftswissenschaftler vom Fachgebiet Nachhaltiger Konsum an der Technischen Universität Berlin. Ich treffe ihn, weil ich mich frage bzw. ihn fragen will, was es bringt, wenn Menschen ihre Einstellungen ändern. Ganz nutzlos sei das nicht, klärt er mich auf, obgleich Einstellungen selten unmittelbar das Verhalten bestimmten. Zumindest aber hätte eine bestimmte innere Haltung einen viel größeren Einfluss auf das Verhalten als andere Faktoren. Maßnahmen wie etwa, das Angebot nicht nachhaltiger Produkte zu reduzieren, würden von Menschen mit einer entsprechenden Grundeinstellung eher akzeptiert. Kaufentscheidend, also handlungsrelevant, seien ökologische oder andere Einstellungen aber oftmals nur dann, wenn Verfügbarkeit, Qualität und Preis des alternativen Produktes dem regulären Produkt glichen. Bloß weil jemand Massentierhaltung ablehne, dürfe man – wissenschaftlich gesehen – nicht von ihm erwarten, dass er mehr bezahle und weitere Wege oder andere Nachteile akzeptiere. »Das macht nur die kleine Ökoelite«, so Schrader. »Sie trinken Ihren Kaffee hier jetzt schwarz. Billige Kuhmilch hätten Sie bekommen, aber eben keine Sojamilch, vielleicht sogar noch aus Bioanbau.« Die echte Ökoelite hätte vermutlich ganz auf den Kaffee verzichtet, weil er Wasser verschwendet und nicht fair gehandelt ist, denke ich.
Pionierleistungen
Warum sollte ich als einzelner Konsument aber überhaupt nachhaltig handeln, wenn doch der Einfluss des Einzelnen vernachlässigbar sein dürfte, frage ich Schrader ketzerisch. »Wir müssen uns wundern, dass wir immer noch über 50 Prozent Wahlbeteiligung haben«, sagt er. »Die einzelne Wählerstimme kann auch nichts verändern. Wir tragen nur zu kollektiven Trends bei, so oder so. Das ist für mich Konsumentenverantwortung. Dass man an sich selbst den Anspruch hat, eher Teil der Lösung als Teil des Problems zu sein, zumindest wenn man sich als moralisch handelnder Konsument versteht. Dann sollte man seine Handlungsspielräume so nutzen, dass man mit den Konsequenzen einverstanden ist. Als Konsument habe ich immerhin die Möglichkeit, nicht nur alle vier Jahre mit meinem Stimmzettel abzustimmen, sondern jeden Tag an der Supermarktkasse mit meinen Geldscheinen. Das ist natürlich manchen ganz egal, aber vielen eben auch nicht, zum Glück.« Außerdem beobachten andere, was jemand mag oder tut und wie er über etwas denkt. Das ist schon vor Facebook und anderen sozialen Netzwerken so gewesen, jetzt aber geht es noch schneller. Dass der Mensch ein soziales Säugetier ist, bietet Chancen, selbst für die wenigen Ökopioniere, Vegetarier oder Veganer. Professor Niko Paech, ein Volkswirtschaftler, der an der Universität Oldenburg über Nachhaltigkeit forscht
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