Kein Fleisch macht gluecklich
entschliessen kann, ist… unsittlich«. Hier muss ich mich zur »mitleidigen Gutmütigkeit« bekennen. Ich habe das ausgelegte Rattengift in unserem Keller »unsittlich« mit Steinen abgedeckt.
Eine schnelle und schmerzlose Tötung von Nutztieren findet von Hartmann ebenfalls nicht unmoralisch, weil er glaubt, ein natürlicher Tod sei unangenehmer. Mit dem gleichen Argument begründete übrigens auch Jeremy Bentham (der mit der gerne von Vegetariern zitierten Frage »Können sie leiden?«) seinen Fleischverzehr.
Bei mir ist es nicht die Pflicht zum Lösen von Kulturaufgaben, weswegen ich das Interesse von Menschen immer noch über das der Tiere stellen würde. Vermutlich bin ich, wenn ich ehrlich bin, noch immer ein Speziesist. Ich nehme die Interessen mir persönlich nahestehender Menschen und Tiere weitaus wichtiger als die von unbekannten. Das ist sicherlich eine »natürliche« Eigenschaft des Menschen. Eine überzeugende ethische Rechtfertigung finde ich dafür hingegen nicht.
Wenn alles gleich ist
Bei aller Ehrfurcht vor dem Leben des Arztes und Philosophen Albert Schweitzer (1875 bis 1965) erscheint mir seine Idee, alles Leben, also auch das der Pflanzen, Einzeller und Bakterien, ohne Abstufung in die Moral einzubeziehen, alltagsfern und überhaupt nicht hilfreich. Die Fähigkeit, Schmerz oder Lust zu empfinden, sind für Schweitzer moralisch nicht bedeutsam. Daher sieht er zunächst auch keine Lösung in einer vegetarischen Ernährung, weil Pflanzen ja ebenfalls Lebewesen seien, die leben »wollten«. (Später wurde er dann doch Vegetarier.) Schweitzers Ethik lässt mich mit einem Berg unlösbarer moralischer Probleme zurück. »Als gut lässt sie nur Erhaltung und Förderung von Leben gelten«, schreibt Schweitzer. »Alles Vernichten und Schädigen von Leben, unter welchen Umständen es auch erfolgen mag, bezeichnet sie als böse.« Seine Ethik gestattet nur unvermeidbare Schäden. Mich aber irritiert, dass, wenn fast alle Handlungsalternativen Leben schädigen oder vernichten, demnach jeder nach eigenem Ermessen mit der Situation umgehen muss. Von einer Ethik wünsche ich mir aber schon, dass sie mir eine etwas größere Entscheidungshilfe ist. Wenn ich mir da, ganz kreiswehrersatzamtsmäßig, vorstelle, mit einem nicht zu bremsenden Auto entweder in eine Gruppe Kinder, Hühner, Ameisen oder Pusteblumen rauschen zu müssen, sind meine Prioritäten klar. Plausible ethische Leitlinien hätte ich jedoch natürlich auch gern für weitaus alltäglichere Situationen.
Kannibalismus
Von Hartmann kritisiert wie Schweitzer eine Abstufung zwischen den Lebensformen, berücksichtigt aber die Empfindungsfähigkeit, die er allerdings auch Pflanzen zuschreibt: »… es ist ein Vorurtheil, dass nur die Thiere unsere Brüder im Reiche des Lebens und der Empfindung seien, die Pflanzen aber nicht.« Somit beurteilt von Hartmann hinsichtlich der Tötungsfrage zu Nahrungszwecken die Grenze zwischen Tieren und Pflanzen als rein willkürlich gesetzt – ein Argument, dem ich auch heutzutage noch erstaunlich oft begegne, wenn es ums Fleischessen geht. Gleichermaßen beliebig verlaufe nach von Hartmann die Grenze zwischen Wirbeltieren und Wirbellosen, Warm- und Kaltblütern oder Affen und anderen Säugetieren. Wissenschaftlich haltbar und in sich schlüssig sei nur die Grenze zwischen allem Leblosen und Lebendigen (wie bei Schweitzer) oder zwischen unserer Spezies und allen anderen, schreibt von Hartmann. »Im ersteren Falle verabscheut man das Verzehren von zerstückelten Leichen als Kannibalismus, gleichviel ob die getödteten Brüder aus dem Reiche des Lebens Thiere, Pilze oder Pflanzen sind, und respektirt die Heiligkeit und Unantastbarkeit des Lebens in jeder Gestalt; im letzteren Falle erkennt man die grossen Gradverschiedenheiten der Verwandtschaft mit anderen Lebewesen an und zieht die Grenze für den Kannibalismus da, wo die Natur sie uns durch den eigenen Instinkt und die Analogien des gesammten Thierreichs vorgezeichnet hat.« Klar, dass man sich bei dieser von ihm vorgegebenen Auswahl leicht entscheiden kann. »Will man seine Kost nicht auf vermodertes Laub und abgestorbene Pilze beschränken, so muß man sich nothgedrungen für die andere Seite der Alternative entscheiden, verliert dann aber auch das Recht, von der Inhumanität des Fleischgenusses zu reden«, urteilt von Hartmann. Die vegetarische Ernährung erschien ihm daher nicht erforderlich: »Niemand wird einem Tischnachbarn Braten aufdrängen, wenn
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