Kein Fleisch macht gluecklich
Schlachtung korrekt eingeordnet werden kann, die mit uneingeschränkter Erregungsleitung über die Nerven, aber mit ausgeschaltetem Bewusstsein verbunden ist.« Will man darüber hinaus die teils heftigen, aber unbewussten Reaktionen auf Schmerzreize (Nozizeption) – etwa bei einem OP-Eingriff oder einer Schlachtung – abstellen, muss man zusätzlich Schmerzmittel zur Narkose verabreichen. Erst dadurch wird die Schmerzreaktion unterbunden. Daraus folgt, dass eine bloße Reiz- oder Schmerzreaktion noch kein ausreichendes Anzeichen für deren bewusste Wahrnehmung oder für ein Bewusstsein ist ( mehr dazu im Kapitel »Von Aal bis Zander«).
Selbstbewusstsein geht noch darüber hinaus und bezeichnet das Erleben der eigenen Person. Ob ein Selbstbewusstsein vorhanden ist, lässt sich bei Tieren vor allem dadurch überprüfen, ob und wie sie auf ihr Spiegelbild reagieren. Das Bestehen dieses sogenannten Spiegelselbsterkennungstests gilt als notwendiges, aber nicht unbedingt ausreichendes Kriterium für Selbstbewusstsein. Menschen bestehen den Test mit zwei Jahren. Auch Schimpansen, Orang-Utans, Delfine, Elstern und Elefanten sind offenbar dazu in der Lage, des Weiteren möglicherweise Tauben, Kapuzineraffen und junge Schweine! Gorillas meiden direkten Blickkontakt, begutachten ihr Spiegelbild entsprechend gar nicht und scheitern daher beim Test. Eine Ausnahme bildet hier einmal mehr die berühmte ( fleischliebende) Gorilladame Koko.
Selbstbewusstsein kann die Qualität von Schmerz oder Wohlbefinden positiv wie negativ beeinflussen: Im Guten etwa bei einer mir notwendig erscheinenden Zahnbehandlung, im Schlechten bei leichten Kopfschmerzen, die ich für einen Hirntumor halte. Es erscheint mir dagegen abwegig, wie der Philosoph Peter Carruthers zu glauben, dass Empfindungen ohne Selbstbewusstsein gar keine moralisch zu berücksichtigende Qualität haben sollten – das würde dann nämlich nicht nur viele Tiere betreffen, sondern streng genommen auch Menschenbabys, die den Spiegelselbsterkennungstest ja auch nicht bestehen.
»Wie viel Persönlichkeit darf in einem Braten stecken?«, fragt hier der Vegetarierbund bei einer öffentlichen Aktion.
Vernunft und Verträge
Im Unterschied zu Descartes bestreitet der Philosoph Baruch de Spinoza (1632 bis 1677) nicht, dass Tiere Empfindungen haben. Er nennt diese Affekte, befindet jedoch, dass es erlaubt sein solle, »sie nach Gefallen zu gebrauchen und zu behandeln, wie es uns am besten zusagt, da sie ja von Natur nicht mit uns übereinstimmen, und ihre Affekte von den menschlichen Affekten der Natur nach verschieden sind«. Die Idee, man dürfe Tiere nicht schlachten, sei daher »mehr auf leeren Aberglauben und weibisches Mitleid als auf die gesunde Vernunft gegründet«. Er kann, wie auch Immanuel Kant (1724 bis 1804), aufgrund seiner Argumentation den als »Kontraktualisten« bezeichneten Philosophen zugeordnet werden. Diese begründen die moralische Berücksichtigung von Lebewesen durch ihre Fähigkeit, gegenseitige Verträge (Kontrakte) abzuschließen – was natürlich nur der Mensch kann. Auch Kant glaubt, dass der Mensch daher keine direkte moralische Verpflichtung gegenüber den »vernunftlosen« Tieren habe. Einen Nutzen im Tierschutz sieht er dennoch, aber allein, weil dieser von Vorteil für die zwischenmenschlichen Beziehungen sei. Man nennt dies das »Verrohungsargument«. Kant sieht somit den Menschen in der »Pflicht der Enthaltung von gewaltsamer und zugleich grausamer Behandlung der Thiere …, weil dadurch das Mitgefühl an ihrem Leiden im Menschen abgestumpft und dadurch eine der Moralität im Verhältnisse zu anderen Menschen sehr diensame natürliche Anlage geschwächt und nach und nach ausgetilgt wird«. Immerhin argumentiert er somit für einen Schutz der Tiere, wenngleich aus anthropozentrischen, also auf den Menschen bezogenen Motiven heraus. Die schnelle Tötung landwirtschaftlicher Nutztiere zur Fleischproduktion hält er für moralisch zulässig.
Viele nachfolgende Philosophen kritisierten die letztlich eigennützige Argumentation der Kontraktualisten. Mir selbst erscheint sie auch wenig sympathisch. Gerade in moralischen Fragen halte ich uneigennützige Motive für durchaus angemessen.
Mitleid mit Schopenhauer
Etwas besser gefällt mir da schon Arthur Schopenhauer (1788 bis 1860). Für ihn ist Mitleid die zentrale moralische Triebfeder. Er formuliert daraus zwar keine Handlungsanleitung (normative Ethik: »du sollst«), sondern will nur
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