Kein Fleisch macht gluecklich
wohlfühlen, ist demnach unmoralisch, weil es die Menge an globalem Wohlbefinden verringert. Wird aber ein empfindungsfähiges Wesen durch ein anderes ersetzt, ändert sich an der Glücksmenge in der Welt nichts. Singer selbst hält diese Sichtweise als Argument für den Fleischverzehr für sehr beschränkt, denn sie könne die industrielle Tierhaltung nicht rechtfertigen, in der die Tiere kein angenehmes Leben führen. Auch für eine Rechtfertigung der Jagd auf Wildtiere eigne sie sich nicht, weil ein geschossenes Tier nicht durch ein anderes ersetzt werde. Bei den Situationen, in denen das Töten nicht falsch sei, handle es sich doch um sehr spezielle, findet Singer. So schlussfolgert er, dass es unter praktischen moralischen Grundsätzen besser sei, auf das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken völlig zu verzichten.
Neben Singer erfreut sich in der Tierrechtsbewegung auch die Position des Amerikaners Tom Regan großer Beliebtheit. Ihm zufolge verfügt jedes Lebewesen, das zu einem individuellen Wohlbefinden fähig ist, über einen Eigenwert. Damit sei es Träger von Rechten und dürfe nicht nur als Mittel für fremde Zwecke genutzt werden. Alle diese »Subjekte des Lebens« seien durch individuelle Rechte geschützt.
Rückfälle
Auch wenn ich Singers Argumenten absolut hatte zustimmen können, war seine philosophische Überzeugungskraft nicht so stark, wie ich gehofft hatte. Ich hatte bereits ein Jahr fleischfrei gelebt, dann aber war ich zu Gast in der Schweiz, und Freunde gaben eine Gartenparty mit viel Grillfleisch. Auf dem Fest hielt ich den Verlockungen noch tapfer stand, doch am nächsten Abend wurden die zahlreichen Restwürste aufgetischt. Sie hätten sich höchstens noch einen Tag gehalten, es waren zu viele für unsere Gastgeber. Also half ich ihnen. Ich habe es schon damals gehasst, wenn Lebensmittel »umkamen«, besonders, wenn dafür Tiere umgekommen waren. Meine Frau zweifelt meine jetzige Interpretation der damaligen Situation allerdings an: »Das war dir doch völlig egal, du bist einfach eingeknickt!« Es blieb auch nicht bei einer Wurst – ich gab mich dem Wurstrausch hin –, und das war beileibe nicht die letzte Inkonsequenz dieser Jahre: Als »Vegetarier« zu Gast bei Schwiegereltern oder Freunden stopfte ich mir gelegentlich heimlich Wurstscheiben oder Schinken in den Mund und hoffte, dass mich niemand dabei ertappte.
Fleischporno
Wurstregale in Supermärkten hatten für mich lange eine gewisse Ähnlichkeit mit den Herrenmagazin-Regalen großer Tankstellen und Zeitschriftenläden. Nicht allein wegen des vielen rosig-roten Nebeneinanders, sondern auch wegen meiner »von niederen Instinkten« geleiteten verstohlenen Blicke, mit denen ich das Sortiment gelegentlich begutachtete. In der Tat habe ich mich meist beobachtet gefühlt, wenn ich doch einmal – keine Hefte, nein, wohl aber – Würste im Supermarkt gekauft habe. Sofort verhedderte ich mich im Kopf in Rechtfertigungen gegenüber fiktiven Vegetariern, die mich wegen des Fleischkaufs beschimpfen würden. Oder ich fürchtete, fleischessende Freunde oder Kollegen an der Kasse zu treffen, die sich sofort über meinen inkonsequenten Fleischverzicht ereifern würden. Am liebsten hätte ich beim Bezahlen der Würste gesagt, dass es eine Ausnahme sei (»Ich kaufe den Playboy nur wegen der Autoberichte«). Vermutlich hätte jeder Kassierer gestutzt. Dass ich bei meinen Rückfällen bevorzugt billige Wurst in billigen Supermärkten gekauft habe, lag wohl daran, dass ich fand, das Schäbige passe zu meinem »schäbigen« Tun. Und ich wollte meine Schwäche nicht mit »kultiviertem« Biofleisch etablieren.
Lebensrecht und Tötungsverbot
Zurück zur geistigen Nahrung: Die zeitgenössische Philosophin Ursula Wolf hält es für ein moralisches Tötungsverbot nicht für notwendig, dass ein Tier einen bewussten Willen zum Weiterleben hat: »Mit dieser Überlegung könnte man das Weitermachenwollen jeder Handlung als Indiz für das Weiterlebenwollen auslegen. Die Folge wäre, dass man allen Tieren, die sich bewusst-absichtlich verhalten können, ein moralisches Lebensrecht zusprechen müsste. Das aber können alle Tiere mit Ausnahme der ganz primitiven Formen, sodass das Töten so gut wie aller Tiere unmoralisch wäre. Ich selbst tendiere eher zu dieser weitergehenden Auffassung.«
Naturwissenschaftliche Tierrechte
Kann man eine Allgemeingültigkeit für eine ethische Sichtweise beanspruchen und diese Gültigkeit zudem rational begründen? Das
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