Kein Fleisch macht gluecklich
empfindender Tiere sind nachrangig, sofern sie mit menschlichen Interessen konkurrieren.
Es erscheint dabei paradox, dass die meisten den Tod von Tieren weniger berücksichtigenswert empfinden als ihr Leiden oder Wohlbefinden. Verbesserungen in der Tierhaltung sollen Leid vermeiden, das Töten selbst aber wird nicht thematisiert. Die große Mehrheit der Bundesbürger findet es jedenfalls gerechtfertigt, Tiere zu Nahrungszwecken zu töten oder, korrekter, töten zu lassen. Die Beweislast, dass es dabei ein moralisches Problem gibt, liegt daher scheinbar aufseiten der Fleischkritiker. Der Leiter des veterinärmedizinischen Instituts für Tierschutz und Tierverhalten in Berlin, Professor Jörg Luy, sieht es anders als die Mehrheit der Bundesbürger. Der Tierarzt und Philosoph hat seine Doktorarbeit über »Die Tötungsfrage in der Tierschutzethik« geschrieben. Wer behauptet, dass es kein moralisches Problem sei, Tiere zu töten, ist nach Meinung von Luy dazu verpflichtet, auch den Nachweis dafür zu erbringen – denn schließlich seien im Falle einer Fehleinschätzung die Tiere die Leidtragenden.
Der Tod ist auch kein Ponyhof
Das Problem diskutieren die Philosophen offenbar schon seit einigen Jahrtausenden. Der Grieche Epikur (341 bis 271 v. Chr.) hat dazu zw ei Postulate aufgestellt, die für viele Philosophen bis heute eine wichtige Bewertungsgrundlage für moralisch richtige und falsche Handlungen sind. (Postulate sind die Vorannahmen, die jeder Argumentation zugrunde liegen. Nur wer ein Postulat akzeptiert, wird auch bereit sein, den darauf aufbauenden Argumenten zu folgen. Sind diese logisch korrekt, müssen auch die Schlussfolgerungen als richtig anerkannt werden. Daher kann es bei einer Diskussion hilfreich sein, sich zunächst auf gemeinsam anerkannte Postulate zu verständigen.) Das erste Postulat Epikurs besagt, dass alles Gute und Schlimme auf Empfindung beruht. Das zweite, dass der Tod in der Aufhebung von Empfindung besteht. Der Tod hat, weil er von niemandem empfunden wird, keinen moralischen Status. Damit wäre die angst- und schmerzlose Tiertötung kein moralisches Problem, ebenso wenig aber die angst- und schmerzlose Tötung von Menschen. Letzteres dürfte wohl niemandem behagen.
Der Skeptiker Descartes
Berüchtigt für seine Haltung gegenüber Tieren ist bis heute der »große Aufklärer« René Descartes (1596 bis 1650). Er sah in Tieren nur seelenlose Automaten, deren Tötung oder Quälen moralisch kein Problem sei. Bekanntlich setzte er die Schreie von Tieren mit dem Quietschen einer Maschine gleich. Indizien für das Vorhandensein einer Seele sowie der Fähigkeit zu leiden seien allein die Sprache und die Vernunft, behauptete er. Damit waren die Tiere für ihn raus. Als Skeptiker hielt er das Fehlen einer tierischen Vernunft zwar für nicht nachweisbar, gleichwohl hielt ihn das nicht davon ab, sich gegen den Grundsatz »im Zweifel für den Angeklagten« – und damit gegen die Tiere – zu entscheiden. Descartes sah darin einen Vorteil für den Menschen: »Somit ist diese meine Überzeugung nicht so sehr grausam gegenüber den Tieren als vielmehr etwas, womit ich den Menschen, zumindest denen, die sich nicht dem Aberglauben der Pythagoräer [dem Vegetarismus, Anm. d. Autors] verschrieben haben, einen Gefallen tue, indem ich sie von dem Verdacht entlaste, mit dem Verzehr oder dem Töten von Tieren ein Verbrechen zu begehen.« Unheimlich, dass man bisweilen noch heute auf Menschen trifft, die glauben, Tiere könnten keine Schmerzen spüren, weil sie kein Bewusstsein hätten, das den Schmerz wahrnimmt und bewertet. So behauptet der britische Philosoph Peter Carruthers (Jahrgang 1952!), dass der Schmerz von Tieren ungehört in ihrem Bewusstsein verhalle, weil ihnen ein Selbstbewusstsein fehle. Diese unbewussten Schmerzen seien, so Carruthers, moralisch nicht berücksichtigenswert.
Mangelndes Selbstbewusstsein
Derlei Schlussfolgerungen erscheinen mir insbesondere deshalb reichlich vermessen, weil bislang bei Laien wie Wissenschaftlern nur sehr unscharfe Vorstellungen davon existieren, was Bewusstsein und Selbstbewusstsein überhaupt bedeuten. Hier kann mir der philosophische Tierarzt Jörg Luy weiterhelfen. Das, was durch Narkose (Allgemeinanästhesie) ausgeschaltet wird, nennt er Bewusstsein, doch Luy spricht dabei lieber von »bewusster Empfindungsfähigkeit«. »Das ist medizinisch präzise, da so auch die pathozentrisch relevante Allgemeinanästhesie bzw. die finale Betäubung vor der
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