Kein Fleisch macht gluecklich
Interessensbegriff von Nelson. Nur dort, wo gleiche Interessen vorhanden seien, müssten sie auch gleich berücksichtigt werden: Tiere hätten kein Interesse an Religionsfreiheit, wohl aber an Wohlbefinden und Schmerzfreiheit. Lediglich letztere Interessen seien daher zu berücksichtigen. In den Belangen, in denen Lebewesen ungleich seien, dürften sie auch ungleich behandelt werden. Gegenüber Nelson schränkt Singer somit den Kreis der Lebewesen ein, die für ihn Personen, das heißt Wesen mit Interesse an ihrer Zukunft, sind. Ein Interesse am Weiterleben und damit ein Recht auf Leben hätten nur die Lebewesen, die in der Lage seien, ein Weiterleben zu wünschen. Sie fielen unter ein Tötungsverbot, weil durch die Tötung ihr Interesse am Weiterleben missachtet würde. Singer geht davon aus, dass zumindest Säugetiere und vermutlich auch Vögel eine Vorstellung von Zukunft haben und dass sie nicht einfach nur Geschöpfe sind, die im Augenblick leben. Sie verfügten über ein Gedächtnis, könnten aus Erfahrungen lernen und zeigten zum Teil Erwartungen an die Zukunft, indem sie etwa planvoll handelten. Singer gibt jedoch zu, dass es schwierig wäre, festzustellen, ob ein anderes Lebewesen in diesem Sinne eine Person sei, und plädiert dafür, den Zweifel für das Lebewesen sprechen zu lassen. Ich hingegen habe in den letzten Jahren den Zweifel gegen die Fische sprechen lassen. Sie waren nach meiner Singer-Lektüre für mich weiterhin keine Personen mit einem Interesse am Leben. Da ich ihnen zudem ein echtes Schmerzempfinden absprach, erschien mir ihre Behandlung nicht so wichtig. Gegessen habe ich sie natürlich vor allem, weil ich sie lecker fand und für gesund hielt – zumal ich kein Fleisch von Säugern und Vögeln mehr aß. Die Singer-Argumente gegen ein Lebensrecht der Fische und mein biologisches Halbwissen über ein vermeintlich eingeschränktes Schmerzempfinden von Fischen nutzte ich, um bei ihrem Verzehr kein schlechtes Gewissen zu haben.
Fraglich ist, ob eine Zukunftsvorstellung allein ausreicht, um tatsächlich den Wunsch zu haben, als Individuum weiterzuleben. Gibt es ein messbares Kriterium für einen kognitiven Entwicklungsgrad, der einen solchen Wunsch möglich machen würde? Wenn der Spiegeltest Hinweise auf ein Selbstbewusstsein liefert, würde das Bestehen des Tests darauf hindeuten, dass der Wunsch weiterzuleben ebenfalls vorhanden sein könnte. Bedenkt man aber, dass etwa Gorillas beim Spiegeltest durchfallen, dies aber nicht zwangsläufig bedeutet, dass ihnen ein Selbstbewusstsein fehlt, könnte vermutlich auch der Wunsch eines Lebewesens, am Leben zu bleiben, leicht übersehen werden.
Utilitarismus und Eigenwert
Singer findet nicht, dass nur Interessen von Lebewesen beachtet werden müssen, die über Fähigkeiten wie Zukunftsvorstellung verfügen. Wenn etwa ein Fisch an der Angel gegen diesen schmerzhaften und bedrohlichen Zustand ankämpft, legt sein Verhalten nahe, dass er ein Interesse hat, diesen zu beenden. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass er auch ein Interesse an seiner eigenen Existenz hat. Moralisch ist es demnach falsch, den Fisch auf diese Weise zu fangen, nicht aber, den Fisch etwa mit einer angst- und schmerzfreien Methode zu töten. Singer setzt für seinen moralischen Segen jedoch voraus, dass man das Leben des schmerzfrei getöteten Fisches durch das Leben eines neuen Fisches ersetzt. Das klingt gleich in zweierlei Hinsicht seltsam. Singer geht zum einen davon aus, dass Wesen ohne Selbstbewusstsein ihre Bewusstseinszustände biografisch nicht miteinander verbinden. Wenn ein Fisch betäubt werde und wieder erwache, wisse er nicht, dass er vorher auch schon gelebt habe, glaubt Singer. »Wenn also Fische in bewusstlosem Zustand getötet und durch eine ähnliche Zahl anderer Fische ersetzt würden (…), gäbe es – aus Sicht des Fischbewusstseins – keinen Unterschied zu dem Fisch, der sein Bewusstsein verliert und wiedergewinnt.« Dass für Singer ein Fisch durch einen anderen einfach ersetzbar ist, liegt an seiner utilitaristischen Grundeinstellung – die zweite Kuriosität. Der Utilitarismus beurteilt Handlungen anhand ihrer »Nützlichkeit« für die Interessen der beteiligten Lebewesen. Demnach sollte man stets die Handlungsalternative wählen, die insgesamt zum kleinsten Schaden oder zum größten Nutzen führt. Aus utilitaristischer Sicht sollten moralische Normen das Wohlbefinden in der Welt vermehren. Das Töten von empfindungsfähigen Lebewesen, die sich
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