Kein Friede den Toten
Yates.
»Du hast mir auch schon oft aus der Patsche geholfen, Adam.«
»Es muss noch eine andere Möglichkeit geben«, wiederholte Yates. »Sag mir, dass es eine andere Möglichkeit gibt.«
»Geh ins Büro«, sagte Dollinger. »Ich ruf an, wenn ich fertig bin.«
55
Der Geruch einer Duftmischung erfüllte Kimmys Wohnwagen.
Immer wenn Olivia in den letzten zehn Jahren so eine Duftmischung gerochen hatte, war sie in Gedanken wieder in den Wohnwagen vor Las Vegas zurückversetzt worden. Kimmys neues Domizil roch genauso. Olivia spürte, wie die Vergangenheit sie einholte.
Das Viertel gehörte gewiss nicht zu den besseren Gegenden der Stadt. Der Wohnwagen sah aus, als wolle er sich häuten. Fehlende Fenster waren mit Sperrholz zugenagelt. Kimmys rostiges Auto stand in der Zufahrt aus ölverschmiertem Sand wie ein herrenloser Hund. Abgesehen von besagtem Duft war das Innere gepflegt und entsprach dem, was in Illustrierten als geschmackvoll eingerichtet bezeichnet wurde. Es war natürlich nicht schick oder edel, aber man merkte, das Kimmy ein Händchen für so etwas hatte. Auf dem Sofa und den Sesseln
lagen hübsche Dekorkissen, in den Regalen standen kleine Figurinen.
Es war, kurz gesagt, ein Zuhause.
Kimmy nahm zwei Gläser und eine Flasche Wein. Sie setzten sich auf ein Futonsofa, und Kimmy schenkte ein. Die Klimaanlage surrte. Kimmy stellte ihr Glas zur Seite. Sie streckte beide Hände aus und legte sie Olivia sanft auf die Wangen.
»Einfach unglaublich, dass du hier bist«, sagte Kimmy leise.
Dann erzählte Olivia ihr die ganze Geschichte.
Das dauerte eine Weile. Sie fing an mit der Übelkeit im Club, der verfrühten Rückkehr zum Wohnwagen, Cassandras Leiche und Clydes Angriff. Kimmy hörte aufmerksam zu. Sie sagte kein Wort. Manchmal fing sie an zu weinen oder zitterte. Sie unterbrach Olivia aber nicht.
Als Olivia die Internet-Nachricht über ihre Tochter erwähnte, sah sie, wie Kimmy erstarrte.
»Was ist?«
»Ich bin ihr begegnet«, sagte Kimmy.
Olivia blieb fast das Herz stehen. »Meiner Tochter?«
»Sie war hier«, sagte Kimmy. »Hier bei mir.«
»Wann?«
»Vor zwei Monaten.«
»Das versteh ich nicht. Wieso? Was wollte sie?«
»Sie meinte, sie hätte angefangen, ihre leibliche Mutter zu suchen. Du weißt schon, aus Neugier. Wie solche Kinder das so machen. Ich hab ihr schonend beigebracht, dass du tot bist, aber das wusste sie schon. Sie wollte dann nach Clyde suchen und dich rächen oder so was.«
»Woher kannte sie Clyde?«
»Sie hat gesagt – lass mich eben überlegen – sie meinte, sie wäre bei dem Polizisten gewesen, der die Mordermittlung geleitet hatte.«
»Max Darrow?«
»Genau, ich glaube, so hieß er. Sie ist bei ihm gewesen. Er hat ihr erzählt, er vermutet, dass Clyde dich umgebracht hat, dass aber keiner weiß, wo Clyde sich versteckt hält.« Kimmy schüttelte den Kopf. »Die ganze Zeit. Der Schweinehund ist schon die ganze Zeit tot.«
»Ja«, sagte Olivia.
»Das ist so, als würde man erfahren, dass der Teufel gestorben ist, verstehst du?«
Natürlich verstand sie das. »Wie heißt meine Tochter?«
»Das hat sie mir nicht gesagt.«
»Sah sie krank aus?«
»Krank, wieso? Ach so, wegen der Internet-Anzeige. Nein, sie wirkte ziemlich gesund.« Kimmy lächelte. »Sie war hübsch. Nicht aufgetakelt. Und sie hatte Mumm. Genau wie du. Ich hab ihr das Bild geschenkt. Du weißt schon, das von uns beiden bei der Sayers-Pic-Nummer. Erinnerst du dich noch daran?«
»Ja. Ja, natürlich.«
Kimmy schüttelte nur den Kopf. »Unglaublich, dass du wirklich hier bist. Das ist wie ein Traum. Ich hab Angst, dass du dich in Luft auflöst und ich ohne dich in dieser Kakerlaken-Hölle aufwache.«
»Ich bin da«, sagte Olivia.
»Und du bist verheiratet. Und schwanger.« Noch einmal schüttelte sie den Kopf und sah sie mit einem strahlenden Lächeln an. »Einfach unglaublich.«
»Kimmy, kennst du einen Charles Talley?«
»Du meinst Chally? So ein durchgeknallter Spinner. Er arbeitet für den Club.«
»Wann hast du ihn zum letzten Mal gesehen?«
»Ach, ich weiß nicht. Muss mindestens ’ne Woche her sein.« Sie runzelte die Stirn. »Warum? Was hat der Mistkerl mit der Sache zu tun?«
Olivia schwieg.
»Was ist, Candi?«
»Sie sind tot.«
»Wer?«
»Charles Talley und Max Darrow. Die beiden hatten irgendwas mit der Sache zu tun. Was, weiß ich auch nicht. Irgendwie muss das Erscheinen meiner Tochter sie darauf gebracht haben. Wahrscheinlich haben sie diese Anzeige geschrieben,
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