Kein Friede den Toten
Alexander.«
Olivia verzog das Gesicht. Es klang wie Clyde Rangor, der versuchte, seine Stimme zu verstellen.
»Hat das Spaß gemacht, Cassandra?«
»Es hat großen Spaß gemacht«, sagte Cassandra tonlos. »Mr Alexander war einfach fantastisch.«
Es entstand eine kurze Pause. Cassandra leckte sich die Lippen und sah jemanden an, der nicht im Bild zu sehen war, als wartete sie auf ihr Stichwort. Dann kam es.
»Wie alt bist du, Cassandra?«
»Ich bin fünfzehn.«
»Bist du sicher?«
Cassandra nickte. Jemand reichte ihr etwas. »Ich bin letzte Woche erst fünfzehn geworden. Das ist meine Geburtsurkunde.« Sie hielt das Dokument vor die Linse. Im ersten Moment war das Bild verschwommen, aber dann wurde scharf gestellt. Cassandra hielt die Urkunde fast dreißig Sekunden lang in die Kamera. Geboren im Mercy Medical Center in Nampa, Idaho. Ihre Eltern hießen Mary und Sylvester. Das Geburtsdatum war gut zu erkennen.
»Mr Alexander wollte eine Vierzehnjährige«, sagte Cassandra so steif, als lese sie ihren Text zum ersten Mal laut, »er fand mich dann aber doch ganz gut.«
Dann war wieder Schnee auf dem Bildschirm.
Olivia blieb schweigend sitzen. Auch Kimmy sagte nichts. Es dauerte eine Weile, bis sie ganz begriff, was Clyde Rangor getan hatte.
»Mein Gott«, sagte sie.
Kimmy nickte.
»Clyde hat sie nicht nur mit Prostituierten erpresst«, sagte Olivia, »er hat ihnen eine Falle mit minderjährigen Mädchen gestellt. Er hat die Geburtsurkunden parat gehalten, um das zu beweisen. Am Ende hat er noch unterstellt, dass die Freier pubertierende Teenager verlangt hätten. Selbst wenn man behauptet, man hätte geglaubt, das Mädchen wäre über achtzehn gewesen, ist das eine schwere Straftat. Für diesen Typen, diesen Mr Alexander, ging es nicht um eine Peinlichkeit, die vielleicht seine Ehe ruinieren konnte. Wenn das rauskam, hätte es sein ganzes Leben ruiniert. Er wäre womöglich im Knast gelandet.«
Kimmy nickte.
Der Schnee verschwand, und ein anderer Mann erschien im selben Schlafzimmer.
»Das ist Mr Douglas«, flüsterte die Stimme.
Olivia gefror das Blut in den Adern. »Nein.«
»Candi?«
Sie rückte näher an den Fernseher heran. Der Mann. Der Mann auf dem Bett – keine Frage – Mr Douglas war Adam Yates. Olivia sah ihn wie versteinert an. Wieder kam Cassandra ins Zimmer. Sie half ihm beim Ausziehen. Das war’s also. Deshalb war Clyde so verzweifelt gewesen. Er hatte einen wichtigen FBI-Agenten gefilmt. Wahrscheinlich hatte er das anfangs gar nicht gewusst – so dumm, das absichtlich zu tun, war nicht
einmal Clyde Rangor –, und als er ihn zu erpressen versucht hatte, war alles schiefgegangen.
»Kennst du den?«, fragte Kimmy.
»Ja«, sagte Olivia. »Wir sind uns erst vor kurzem begegnet.«
Die Haustür wurde aufgerissen. Olivia und Kimmy fuhren herum.
Kimmy rief: »Was zum …«
Cal Dollinger schloss die Tür hinter sich, zog seine Pistole und zielte.
57
Loren hatte einen Mietwagen.
Matt fragte: »Und wie ist das deiner Meinung nach gelaufen? Hat Darrow das Ganze ins Rollen gebracht?«
»Klingt am logischsten«, sagte sie. »Irgendwie erfährt Darrow, dass deine Frau eine Tochter hatte. Er erinnert sich an den Obduktionsbericht. Dann dämmert ihm langsam, was damals wirklich passiert ist. Er weiß, dass Geld im Spiel war. Er sucht sich einen Handlanger, der ihn bei der Sache unterstützt.«
»Das wäre Charles Talley.«
»Genau.«
»Und du glaubst, er hat Olivia gefunden, als sie auf die Internet-Anzeige geantwortet hat?«
»Ja, aber …« Loren schwieg.
»Aber was?«
»Zuerst haben sie Emma Lemay gefunden.«
»Als Schwester Mary Rose.«
»Ja.«
»Wie?«
»Das weiß ich auch nicht. Vielleicht wollte sie was wiedergutmachen.
Ihre Oberin hat mir ja von ihr erzählt. Seit sie ihre neue Identität angenommen hatte, hat Schwester Mary Rose ein gutes und gottesfürchtiges Leben geführt. Vielleicht hat sie die Internet-Anzeige ja auch gesehen.«
»Und wollte helfen.«
»Ja. Das würde dann auch das sechsminütige Telefonat von St. Margarets zum Haus deiner Schwägerin erklären.«
»Sie wollte Olivia warnen.«
»Möglich. Ich weiß es nicht. Aber offenbar hatten sie Emma Lemay zuerst entdeckt. Der Gerichtsmediziner sagt, sie ist gefoltert worden. Vielleicht wollten sie Geld. Oder den Namen deiner Frau erfahren. Auf jeden Fall war Emma Lemay hinterher tot. Und als sie versucht haben, ihre wahre Identität rauszubekommen, haben irgendwo die Alarmglocken
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