Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Friede den Toten

Kein Friede den Toten

Titel: Kein Friede den Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
Vom Netzwerk:
Wohnwagen besorgt. Und in denen haben wir gewohnt. Die Mädels kamen und gingen, aber ich hab damals den Wohnwagen mit zwei anderen geteilt. Die eine, Cassandra Meadows, war eine Neue. Sie war vielleicht sechzehn oder siebzehn. Die andere hieß Kimmy Dale. Kimmy war an dem Tag nicht da. Clyde hat uns nämlich zwischendurch auf Tournee geschickt. Wir haben dann in irgendwelchen Kleinstädten gestrippt, meist so drei oder vier Vorstellungen am Tag. Für ihn war das leicht verdientes Geld. Wir haben gute Trinkgelder kassiert, von denen Clyde aber auch den größten Teil eingesackt hat.«
    Matt versuchte, die Fassung zu wahren, aber es ging einfach nicht. »Wie alt warst du, als du damit angefangen hast?«, fragte er.
    »Sechzehn.«
    Es gelang ihm, nicht die Augen zu schließen. »Ich versteh nicht, wie das funktioniert hat.«
    »Clyde hatte Verbindungen zum organisierten Verbrechen. Wie das genau abgelaufen ist, weiß ich auch nicht, auf jeden Fall haben die verzweifelte Mädchen aus Pflegefamilien in Idaho gesucht.«
    »Da stammst du her?«
    Sie nickte. »Sie hatten auch Kontakte in andere Staaten. Oklahoma zum Beispiel. Cassandra kam aus Kansas, glaub ich. Die Mädels wurden direkt auf Clydes Grundstück geschleust. Er hat ihnen falsche Papiere gegeben, und sie arbeiten geschickt. Das war nicht weiter schwierig. Wir wissen beide, dass sich niemand wirklich für die Armen interessiert, aber kleine Kinder sind wenigstens sympathisch. Wir waren bloß widerspenstige Teenager. Wir hatten niemanden.«
    Matt sagte: »Okay. Erzähl weiter.«

    »Clyde hatte eine Freundin. Emma Lemay. Sie war so eine Art Muttergestalt für uns Mädchen. Ich weiß, wie das klingt, aber wir haben selbst fast dran geglaubt, was ja auch kein Wunder ist, wenn man bedenkt, was wir vorher alles erlebt hatten. Clyde hat sie immer wieder heftig verprügelt. Emma ist schon zusammengezuckt, wenn er nur an ihr vorbeiging. Ich hab das damals gar nicht richtig begriffen, aber Clydes Schikanen haben wohl … zwischen uns ist eine Verbindung entstanden. Kimmy und ich mochten Emma. Wir haben uns darüber unterhalten, wie wir eines Tages da rauskommen – das war eigentlich das Einzige, worüber wir uns überhaupt unterhalten haben. Ich hab ihr und Kimmy von unserem Treffen erzählt. Und darüber, was das für mich bedeuten könnte. Die beiden haben sich das angehört. Wir wussten alle, dass es nie dazu kommen würde, aber angehört haben sie es sich trotzdem.«
    Sie hörten etwas von draußen. Ein kurzer Schrei. Olivia sah sich um.
    »Das ist nur Ethan«, sagte Matt.
    »Macht er das oft?«
    »Ja.«
    Sie warteten. Das Haus lag wieder still da.
    »Irgendwann ging’s mir dann mal richtig schlecht«, fuhr Olivia fort. Sie sprach wieder mit distanzierter, monotoner Stimme. »Man kriegt zwar nicht frei, wenn man krank ist, aber mir war so übel, dass ich kaum aufstehen konnte, na ja, und es ist auch nicht gut fürs Geschäft, wenn die Mädels auf die Bühne kotzen. Weil Clyde und Emma nicht da waren, hab ich das mit dem Türsteher geklärt. Er hat gesagt, ich soll nach Hause gehen. Also bin ich zurück zum Pferch gegangen – so nannte wir das eingezäunte Land mit den Wohnwagen. Das war so gegen drei Uhr nachmittags. Die Sonne brannte noch. Ich hab richtig gespürt, wie meine Haut verschrumpelt.«
    Dann lächelte Olivia melancholisch. »Weißt du, was seltsam
ist? Also, die ganze Sache ist natürlich seltsam, aber mir ist da gerade was aufgefallen.«
    »Was?«
    »Die Kleinigkeiten. Ich meine jetzt nicht das Wetter, aber die Kleinigkeiten, die alles verändern. Die kleinen Wenns, die riesige Änderungen nach sich ziehen. Du kennst dich damit besser aus als sonst irgendjemand. Wenn du direkt nach Bowdoin zurückgefahren wärst. Wenn Duff das Bier nicht verschüttet hätte. Verstehst du?«
    »Ja.«
    »Hier ist es genauso. Wenn mir nicht schlecht gewesen wäre. Wenn ich einfach getanzt hätte, wie jeden Abend. Außer dass unterschiedliche Leute in meinem Fall wohl zu unterschiedlichen Schlüssen kommen würden. Ich würde sagen, das hat mir das Leben gerettet.«
    Sie stand an der Tür und sah den Knauf an, als wollte sie fliehen.
    Matt fragte: »Was ist passiert, als du in den Pferch zurückgekommen bist?«
    »Er wirkte verlassen«, sagte Olivia. »Die meisten Mädchen waren schon im Club oder in der Stadt unterwegs. Normalerweise waren wir so gegen drei Uhr nachts fertig und haben dann bis Mittag geschlafen. Der Pferch war so trostlos, dass wir immer zugesehen

Weitere Kostenlose Bücher