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Kein Friede den Toten

Kein Friede den Toten

Titel: Kein Friede den Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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dass es eine .22er war, ich weiß nicht. Einen kurzen Moment lang hat Clyde noch fester zugepackt. In seinem Gesicht war eher Überraschung als Schmerz zu sehen gewesen. Er hat mich losgelassen. Ich hab gewürgt und nach Luft geschnappt. Dann hab ich mich hustend auf die Seite gerollt. Emma Lemay stand hinter ihm. Sie hatte eine Pistole in der Hand, und es war fast so, als hätten die Schläge und Misshandlungen, die sie über die Jahre erlitten hat, sie einfach übermannt. Sie hat sich nicht abgewandt oder zu Boden gesehen. Clyde hat sich wütend zu ihr umgedreht, und dann hat sie noch einmal geschossen. Mitten in sein Gesicht. Dann hat Emma noch einmal abgedrückt, und Clyde Rangor war tot.«

38
    Motiv.
    Loren hatte jetzt ein Motiv. Wenn das Video etwas zeigte, dann nicht nur, dass Charles Talley, ein Drecksack vor dem Herrn, mit Matt Hunters Frau geschlafen hatte – Loren hätte jede Wette angenommen, dass die Frau mit der blonden Perücke Olivia Hunter war –, sondern dass er sich auch noch die Mühe gemacht hatte, Matt diese Bilder zu schicken.
    Um sich über ihn lustig zu machen.
    Ihn zu verhöhnen.
    Ihn, wenn man so will, aus der Reserve zu locken.
    Das passte zusammen. Es war vollkommen logisch.
    Außer dass zu viele Dinge in diesem Fall auf den ersten Blick vollkommen logisch schienen. Aber nach dem zweiten Blick passte dann nichts mehr zusammen. So wie der Mord an Max Darrow, der aussah, als hätte ihn eine Prostituierte ausgenommen. Oder der an Charles Talley, der wie ein normales Eifersuchtsdrama aussah, was aber die Verbindung zu Emma Lemay, dem FBI von Nevada und den ganzen anderen Dingen, die sie in Joan Thurstons Büro erfahren hatte, absolut nicht erklärte.
    Ihr Handy klingelte. Die Nummer war unterdrückt.
    »Hallo?«
    »Und was ist jetzt mit dieser Fahndung nach Hunter?«
    Es war Lance Banner.
    »Schläfst du eigentlich nie?«, fragte sie.
    »Im Sommer nicht. Ich ziehe den Winterschlaf vor. Wie die Bären. Gibt’s was Neues?«
    »Wir suchen ihn.«
    »Komm, spar dir die vielen Einzelheiten, Loren. Das kann ich mir wirklich nicht alles merken.«
    »Es ist eine lange Geschichte, Lance, und ich habe eine lange Nacht hinter mir.«

    »Die Fahndung ist vor allem in Newark rausgegangen.«
    »Na und?«
    »Hat jemand bei Hunters Schwägerin nachgesehen?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Ich wohn da gleich um die Ecke«, sagte Lance Banner. »Ich bin schon so gut wie unterwegs.«

39
    Weder Matt noch Olivia rührten sich. Die Geschichte hatte Olivia alle Kraft gekostet. Das sah er. Er wollte schon näher an sie heranrücken, aber sie hob die Hand.
    »Ich hatte mal ein altes Foto von Emma Lemay gesehen«, fing sie an. »Sie war so wunderschön. Sie war auch klug. Wenn jemand in der Lage war, aus diesem Leben auszusteigen, dann war es Emma. Aber das macht einfach niemand. Ich war achtzehn, Matt. Und ich dachte damals schon, mein Leben ist vorbei. Da standen wir beide also. Ich war am Würgen, und Emma hielt die Pistole noch in der Hand. Sie hat lange auf Clyde hinuntergestarrt und gewartet, bis ich wieder Luft bekam. Das hat ein paar Minuten gedauert. Dann hat sie sich zu mir umgedreht, mich mit klarem Blick angesehen und gesagt: ›Wir müssen seine Leiche verstecken.‹«
    »Ich weiß noch, dass ich den Kopf geschüttelt habe. Ich hab ihr gesagt, dass ich nichts damit zu tun haben will. Sie hat sich nicht aufgeregt und ist auch nicht laut geworden. Es war eigenartig. Sie wirkte so … gelassen.«
    Matt sagte: »Sie hatte gerade den Mann umgebracht, der sie jahrelang gequält hat.«
    »Das hat da bestimmt auch mit reingespielt.«
    »Aber?«
    »Es war fast so, als hätte sie auf diesen Augenblick gewartet.
Als hätte sie gewusst, dass das eines Tages passieren würde. Ich hab vorgeschlagen, dass wir die Polizei benachrichtigen. Emma hat ruhig und gelassen den Kopf geschüttelt. Sie hatte alles unter Kontrolle. Sie hat mich nicht mit der Pistole bedroht, die sie immer noch in der Hand hielt. ›Wir können einfach die Wahrheit sagen‹, schlug ich vor. ›Es war Notwehr. Wir zeigen ihnen die Blutergüsse an meinem Hals. Ach was, wir zeigen ihnen Cassandra.‹«
    Matt richtete sich weiter auf. Olivia sah es und lächelte.
    »Ich weiß«, sagte sie. »Die Ironie an der Sache ist mir schon klar. Notwehr. Darauf hast du auch plädiert. Ich glaube, wir standen beide am gleichen Scheideweg. Vielleicht hattest du auch keine Wahl, mit den vielen Menschen um dich herum. Aber selbst wenn du sie gehabt hättest – du

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