Kein Job fuer schwache Nerven
Tagen, und wenn uns das nicht schnell genug ist, genügt es, die behandelten Flächen noch mal mit Perform abzuwischen.
Ulkig war nur, dass – während wir die Räume mit Chlorbleichlauge behandelten – der Rohrreiniger kam und das verstopfte Abwasserrohr säubern wollte. Er fragte, ob wir was dagegen hätten, wir sagten, nein, wenn er mit der Chlorbleichlauge im Raum klarkäme, die wir mit Atemschutz auftrugen. Das sei kein Problem, sagte er, und fing an, mit seiner Spiralfeder das Rohr zu reinigen. Und währenddessen unterhielten wir uns und bestätigten uns herzlich, dass wir den Job des jeweils anderen keinesfalls ausüben könnten.
» Immer die Leichen wegwischen«, sagte er, » das würde ich nicht packen.«
» Na ja«, sagte Hotti, » immer die Scheiße aus den Rohren rausholen, das wäre auch nicht grade meins.«
Wir einigten uns auf ein Unentschieden.
9 . Der ganz normale Kopfschuss
Es kann natürlich Zufall sein. Ich meine, es gibt in Deutschland anderthalb Millionen Sportschützen, es gibt 40 0 000 Jäger, es gibt 30 0 000 angemeldete Waffensammler und rund eine Million Menschen, die eine Feuerwaffe geerbt haben, und das sind nur die offiziell registrierten Waffenbesitzer. Das sind gar nicht so wenige, wie man sich manchmal denkt, und wer nachzählt und meint, das wären dann ja wohl etwa 3,2 Millionen Feuerwaffen, der hat sich ein bisschen verschätzt, so ziemlich genau um den Faktor 6: 20 Millionen Feuerwaffen sind bei uns im Umlauf, nein, nicht europaweit, nur deutschlandweit, Revolver, Automatikpistolen, Büchsen, Flinten. Das schätzt jedenfalls das Bundesinnenministerium. Was ich sagen will: Waffen gibt es genug. Und dennoch fällt es mir jetzt, im Sommer 2012, auf, dass das Jahr noch nicht mal zur Hälfte vorbei ist und wir trotzdem schon vier Selbstmord-Orte mit Schusswaffengebrauch in München gereinigt haben. Seit ich bei der Feuerwehr bin, seit nun auch schon immerhin fast 25 Jahren, sind mir noch nicht so viele untergekommen, und, wie gesagt, das sind nur die, die ich gereinigt habe. Alles Männer. Natürlich.
Das kann man tatsächlich so sagen, weil es kein Zufall ist. Männer erschießen sich deutlich öfter, im Fachjargon heißt das: Sie greifen zu den harten Suizidmethoden, zu denen auch das Erhängen gehört. Frauen nehmen lieber Medikamente oder – und so viel zur angemessenen Begrifflichkeit – sie springen aus dem Fenster, was offenbar als » weichere « Suizidmethode gilt. Ich weiß nicht, wer sich so was ausdenkt, wir haben erst kürzlich eine Dame vom Bürgersteig entfernt, die aus dem sechsten Stock eines Münchner Rundfunkgebäudes gesprungen ist, sie ist frontal aufgekommen, mit einem » Bauchplatscher«, wie man im Schwimmbad sagen würde, und schon im Schwimmbecken ist das alles andere als angenehm – in diesem Fall war das einzig Weiche daran das, was anschließend auf dem Bürgersteig übrig blieb. Was nicht selbstverständlich ist, denn wie im Schwimmbad gibt es auch hier zahlreiche Kandidaten, die – tja, wie soll man das nennen? – sozusagen vorsichtig springen, also mit den Füßen zuerst. Tödlich ist das natürlich genauso, aber das Ergebnis sieht anders aus, wenn es einem mit 70 Sachen die Beine in den Rumpf rammt, also ohne ins Detail gehen zu wollen: auf jeden Fall ganz anders als flach auf den Bordstein.
» Welche Variante würde ich wählen? « , geht mir in solchen Fällen immer durch den Kopf. » Und was verrät das über mich? « Letzten Endes wahrscheinlich nur meine Herkunft. Beim Selbstmord gibt es regionale Unterschiede: Im katholischen Bayern bringen sich mehr um als in Niedersachsen. Österreicherinnen hängen sich leichter auf als deutsche Frauen, Männer kapitulieren vor dem Leben generell öfter als Frauen. Und je älter man wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sich das Leben nimmt – was auch damit zusammenhängt, dass viele Menschen ähnlich wie der ewige Playboy Gunter Sachs Selbstmord begehen, sobald sie von ihrem Arzt erfahren, dass sie eine tödliche Krankheit haben, deren Verlauf sie sich mehr oder weniger schrecklich vorstellen. Auch Sachs hat, nebenbei, die Pistole gewählt.
Jetzt kann ich, angesichts meiner Fälle, natürlich keine aussagekräftige Statistik erstellen, aber es ist schon auffallend, wie unterschiedlich man dabei vorgehen kann, als Laie und als Schusswaffenfachmann. Verblüffend ist, dass sich die meisten, so wie ich es sehe, nicht in die Schläfe schießen, wie man klischeehaft meistens denkt.
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