Kein Job fuer schwache Nerven
in diesem Fall der Todesort derart leicht zu reinigen, dass unsereinem im ersten Moment fast rausrutschen könnte: » Ach, das bisschen, das können Sie doch ganz leicht selber machen.«
Das sagt man natürlich nicht.
Obwohl, in einem Fall hätte man es fast sagen können, der Fall war wirklich einzigartig. Auch wegen des Toten, aber vor allem wegen der Reaktion der Angehörigen, in erster Linie der Ehefrau.
Der Mann war Anfang 70 gewesen und hatte seit Jahren unter Depressionen gelitten. Er war Jäger, wie seine Frau, er hatte seine Pistole genommen und sich den Lauf im Schlafzimmer in den Mund geschoben. Dann drückte er ab und fiel erst auf und dann neben das Bett. Und das Seltsame daran war: Anders als die allerallermeisten Selbstmörder hatte er nicht abgewartet, bis er allein war. Seine Frau hatte im Zimmer nebenan gesessen. Er hatte nur einen Zettel an die Tür gehängt mit der Aufschrift: » Bitte nicht reinkommen«. So wie es Kinder manchmal machen, wenn sie sich für ihre Eltern eine Überraschung ausdenken. Der Zettel hing noch an der Tür, als wir kamen.
Die Ehefrau war mit ihrem Sohn in der Wohnung, er blieb im Hintergrund, sie empfing uns nett, aber kühl, sachlich. Das ist schon bemerkenswert, weil die meisten Angehörigen völlig verstört sind, wenn wir kommen. Die wissen weder, was sie von uns erwarten können, noch wo wir anfangen sollen oder was ihnen am liebsten wäre, diese Menschen muss man normalerweise ein wenig an die Hand nehmen, im übertragenen Sinn. Bei dieser Dame war das anders: Es war, als wäre man der Klempner, der Dachdecker, der Malermeister, die Putzfrau, sie wusste genau, was sie wollte. Und sie gab bei uns ihre Bestellung auf. Das Schlafzimmer wieder herrichten, einen neuen Teppichboden, bitte in derselben oder doch wenigstens in einer ähnlichen Farbe, und die blutbeschmierte Matratze sollte raus. Und wenn wir u ns n och um das Loch in der Decke kümmern könnten …?
Das Loch in der Decke war das Loch, das die Kugel hinterlassen hatte. Nicht weit daneben war noch ein kleineres Loch, in das sich ein Stück Schädeldecke gebohrt hatte. Wir entfernten die verformte Kugel und das kleine Kopfstück aus dem Putz, wir spachtelten die Decke mit Gips wieder zu und deckten die Stelle farblich unauffällig ab. Wir wischten die vielen kleinen Blutspritzer von der cremefarbenen Schlafzimmerschrankwand. Wir entfernten die Matratze, auf der er immer gelegen hatte, wir reinigten das Doppelbett. Wir entfernten den Teppichboden und sprühten das durchgesickerte Blut mit Desinfektionsmittel ein. Und während das Mittel einwirkte, holten wir einen neuen Teppichboden in einer sehr, sehr ähnlichen Farbe. Wir hätten auch eine Ersatzmatratze für seine Seite des Ehebetts besorgen können, aber das wollte die Witwe nicht.
Irgendwie wirkte sie – nicht gerade zufrieden, aber gefasst. Und uns beschlich der Verdacht, dass sie geahnt hatte, was er im Schlafzimmer vorhatte. Dass sie beide das vielleicht sogar mehr oder weniger abgesprochen hatten, stillschweigend. Depressionen können furchtbar sein, sie sind auch für die Angehörigen belastend, und sie wirkte eigentlich inzwischen beinahe beruhigt. So, als müsste sie sich keine Sorgen mehr machen, als sei er jetzt auf jeden Fall besser aufgehoben als vorher – nicht so, als sei sie jetzt eine Sorge los, sondern vor allem so, als habe er nun das gefunden, was er lange gesucht hatte, wahrscheinlich vor allem Ruhe. Wir packten unsere Geräte wieder ein wie ganz normale Handwerker, sie bezahlte uns, und wir gingen. Es war ein ganz merkwürdiges Gefühl. Obwohl man doch eigentlich beruhigter hätte sein können als sonst.
Alle Selbstmordfälle haben eines gemeinsam. Man denkt unwillkürlich darüber nach, was es wohl für ein Gefühl ist, wenn man sich selbst umbringt. Und man bekommt eine Ahnung davon, wie groß die Furcht vor dem gewesen sein muss, was den Menschen als Alternative bevorgestanden hatte, die Furcht vor dem Weiterleben. Bei Depressionen, bei Einsamkeit, bei Teenagerherzschmerz oder wirtschaftlichen Sorgen kann ich da keinen Tipp geben, aber in einem sehr häufigen Fall ist mir tatsächlich inzwischen etwas Hilfreiches untergekommen – im Fall des Selbstmords wegen einer unheilbaren Krankheit, die sehr oft schlichtweg » Krebs« heißt.
Ich möchte bei der Gelegenheit auf ein Buch hinweisen, das ich vor Kurzem in die Finger bekommen habe: Es heißt Über das Sterben und stammt von dem renommierten Palliativmediziner Gian Domenico
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